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KommentarSymbol oder Politik

■ Den wichtigen Fragen hat sich die SPD nicht gestellt

Als die Berliner SPD im Rahmen einer Parteireform auch die Urwahl des Spitzenkandidaten zuließ, gab es nicht wenige, die ob der ungewöhnlichen Neuerung amerikanische Verhältnisse befürchteten. Vergleichbar dem Vorwahlkampf der US-Präsidentschaftskandidaten, so lautete die Kritik, verschwinde das Politische hinter teuren Materialschlachten und einer einseitigen Ausrichtung des Wahlkampfs auf die Medien.

Nichts von dem ist eingetreten. Nicht im Urwahlkampf Ingrid Stahmer gegen Walter Momper im Februar 1995, nicht im gestern zu Ende gegangenen Wahlstreit zwischen Momper und dem SPD- Fraktionschef Klaus Böger. Dabei hätte gerade der aktuelle Kandidatenstreit genügend Stoff für einen veritablen Wahlkampf geboten. Hier der aus dem politischen Nichts wiedergeborene Momper, dessen ungebrochener Popularität im Osten nicht einmal der Ausflug in die Immobilienbranche etwas anhaben konnte. Dort der bedächtig moderierende Vollzeitpolitiker Böger, dessen Rolle als Architekt der Großen Koalition jedwedes Bekenntnis für Rot-Grün zu überlagern schien.

Wären nicht die Unterschiede beider Kandidaten von ihnen selbst bis zur Unkenntlichkeit geglättet worden, hätte es tatsächlich etwas zu entscheiden gegeben: die Frage nämlich, ob Politik im wesentlichen über Emotionen und Symbole zu vermitteln ist oder ob der Politik im Zuge zunehmender Deregulierung ein steigender Bedarf an Moderation erwächst. Hier der rot-grüne Herrscher Momper, dort der Moderator des rot-grünen Runden Tischs, Klaus Böger.

Mit dem fast schon panischen Bemühen um Geschlossenheit hat es die SPD allerdings versäumt, mit der Urwahl auch das Selbstverständnis einer Politik unter den Vorzeichen von Finanznöten und wachsender sozialer Polarisierung zur Wahl zu klären.

So blieb den 21.000 Genossen im wesentlichen nur die Entscheidung, wer von den beiden Kontrahenten im Herbst die vermeintlich besseren Chancen gegen den amtierenden Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) hat. Das ist, vorsichtig formuliert, vielleicht ein Signal für einen Machtwechsel. Für eine andere Politik allerdings weniger. Uwe Rada

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