Sweet Home Atlanta: Glory Days im YMCA
■ Ein Anflug von Takt läßt Atlanta auf „Born in the USA“ bisher verzichten
Bus aus Houston? Foto: AP
Endlich ist ans Licht gekommen, warum das Transportsystem in Atlanta zumindest zu Beginn der Spiele so katastrophal war. Um dem riesigen Andrang gewachsen zu sein, hatte das Organisationskomitee 1.480 Busse aus anderen Städten geordert. Die dortigen Verkehrsbetriebe dachten aber nicht daran, ihre Schmuckstücke herauszurücken. Sie schickten zum Teil Schrott. Entsprechend hoch war die Pannenquote. Überraschenderweise kamen die schlimmsten Vehikel nicht aus Minneapolis, jener Stadt, die Atlanta bei der nationalen Konkurrenz um die Olympiabewerbung unterlegen war, sondern aus Houston. „Mottenzerfressen“ seien die 55 Gefährte aus Texas gewesen, sagte ein Sprecher, und so altersschwach, daß sie nicht etwa auf eigenen Rädern nach Georgia kamen, sondern mit Transportfahrzeugen angeliefert wurden. Der Ausflug bekam ihnen trotzdem nicht, zehn Busse waren schon bei der Ankunft kaputt.
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4,1 Milliarden Umsatz, so war die letzte Berechnung, sollten die Spiele dem Staate Georgia bringen. Wie es aussieht, wird es erheblich weniger, denn viele der erwarteten Olympiatouristen sind nicht gekommen, selbst wenn sie Hotelzimmer gebucht und bezahlt hatten. Der Manager des Holiday Inn ruft sogar schon Bekannte in anderen Städten an und fragt, ob sie nicht zufällig nach Atlanta kommen wollen, es gäbe entgegen allen Voraussagen jede Menge Zimmer. Dabei sind die Hotels noch fein raus, da es keine Rückerstattung für die über das Organisationskomitee gebuchten und nicht genutzten Räumlichkeiten gibt. Schwer am Klagen sind hingegen die Laden- und Restaurantbesitzer, die sich von Olympia das große Geschäft versprochen hatten. Die Leute, die nicht gekommen sind, können kein Geld bei ihnen ausgeben, diejenigen, die da sind, gehen zum Sport statt einkaufen und haben meist solche Eile – nicht zuletzt wegen der Busse aus Houston –, daß sie sich ausschließlich von Fast food ernähren.
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Bei der Fußball-EM tönte das Lied von den „Three Lions“ während der England-Spiele aus Tausenden von Kehlen durchs Wembley-Stadion. Auch bei den olympischen Wettkämpfen spielt Musik eine große Rolle, selbst wenn die Leute hier nicht mitsingen. Vor allem bei den Ballsportarten vergeht keine Auszeit, keine noch so kurze Unterbrechung, ohne daß nicht sofort dröhnende Musik eingespielt wird. Die Favoriten der olympischen Discjockeys sind keineswegs die extra für die Spiele komponierten Sportschnulzen vom Schlage „Higher, Faster, Stronger“ und auch nicht vergangener Olympia-Kitsch wie „Go For The Gold“ oder „One Moment In Time“. Bevorzugt wird feinster Mainstream-Rock, ein wenig Country, ein wenig Soul. „Respect“ von Aretha Franklin kehrt immer wieder, „Glory Days“ von Bruce Springsteen findet gerne beim Dream Team Verwendung, auf „Born In The USA“ wurde, offenbar in einem ungewöhnlichen Anflug von Taktgefühl, bisher verzichtet. Dafür gibt es Tom Petty, Counting Crows, Beach Boys, John Fogerty, Kinks oder REM.
Doch nur ein Song bringt die Hallen zum Beben. Wenn er ertönt, springen 30.000 im Georgia Dome auf, fangen an zu hüpfen und schreiben mit ihren Armen die Buchstaben des Refrains in die Luft: „YMCA“ von den Village People. Merkwürdiges Amerika. Matti
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