■ H.G. Hollein: Superhirne
Die Frau, mit der ich lebe, ist sprunghaft. Mental jedenfalls. Mir gegenüber versucht sie ja, ihre geistigen Hüpfer als Kennzeichen einer Hochbegabten hinzustellen, aber ich habe da meine Zweifel. Eine Frage wie „Meinst du, dass es Krieg gibt, Schatz, kannst du mir mal ein Bier mitbringen?“ spricht meines Erachtens nicht unbedingt für eine überzüchtete Intelligenz. Auch Äußerungen wie „Die Handwerker waren übrigens da, hast du meinen BH gesehen?“ lassen – hoffentlich – eher auf einen synaptischen Kurzschluss schließen, als auf eine subtextuelle Verknüpfung. Darauf angesprochen, verweist die Gefährtin gern auf den beglaubigt hohen IQ einer Freundin. G. pflegt in gemütlicher Runde bisweilen in scheinbar unmotiviertes Lachen auszubrechen. Tatsächlich ist es ihr offenbar gegeben, an den einleitenden Worten des jeweils Sprechenden dessen Witzpotenzial hochzurechnen und die Pointe einer Geschichte schon im Ansatz zu erkennen. Sowas ist gewöhnungsbedürftig. Zumal, wenn G. selbst das Wort ergreift und die für ihre Conclusio maßgeblichen Prämissen voraussetzt, sprich, in aller Unschuld einfach weglässt. Bei solchen Vorgaben dünnt die Anzahl der adäquaten Gesprächspartner denn doch recht schnell aus. Die Gefährtin will dabei – ihrem Selbstverständnis entsprechend – natürlich unbedingt mithalten. Als idealen Fitmacher für den mehrebenigen Diskurs hat sie – nicht erst seit kurzem – das Zappen entdeckt. Wenn auf dem einen Kanal die „Diagnose: Mord“ gestellt wird, auf dem anderen „Der Alte“ die Ermittlungen aufnimmt und auf dem dritten im „Kriminaltango“ der Täter zur Strecke gebracht wird, geht einem so recht auf, dass in der Tat Alles Eins ist. Das lässt bei näherer Überlegung die eingangs zitierte Doppelfrage der Gefährtin doch nicht ganz ohne kontextuelle Verbindung erscheinen. Denn zweifellos ist die Sorge um den Frieden mit jener um ausreichenden Nachschub an Bierflaschen wesentlich – essentiell, wie man heute sagt – identisch. Sorge hin, Sorge her, fest steht, dass ich derjenige bin, der losmuss, um das Bier beizubringen. Also sorge ich lieber dafür, dass immer genug da ist. Das wahrt zumindest den häuslichen Frieden.
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