: Super Pussy – zu den Fotos in dieser Literaturbeilage
Der Band fällt durch sein sperriges, übergroßes Format und die lässige Ringheftung auf. Vor allem aber durch den provokativen Schriftzug „Super Pussy Bangkok“, der den magentafarbenen Umschlag ziert. Auf der Rückseite findet sich folgender kurzer Text: „In Thailand werden nach Schätzungen jährlich ca. 25 Milliarden Dollar mit Prostitution umgesetzt und 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet (Deutschland: 0,38 Prozent). Prostitution ist in Thailand illegal. Ein Teil der Sexindustrie in Thailand richtet sich explizit an Kunden aus den USA, Großbritannien und Deutschland. Die entsprechenden Bars in Bangkok finden sich in den Straßen Patpong, Nana Tai und Cowboy. Patpong 1, die parallel verlaufende Patpong 2 und Cowboy sind jeweils ca. 200 Meter lang.“ Es folgen die üblichen Angaben zu Druck, Papier, Auflage etc. Das Copyright 2006 des Bands, der über www .schaden.com vertrieben wird, liegt beim Institut für Grafik und Buchkunst an der HGB Leipzig und Elisabeth Neudörfl. Sie zeichnet auch für Konzeption, Fotografie und Gestaltung verantwortlich. Mehr Worte werden nicht gemacht.
Schlägt man den Band auf, folgt Bild auf Bild: Wir haben damit dieses Literaturmagazin von der ersten bis zur letzten Seite bebildert. Samt und sonders Schwarzweißfotografien, eindrucksvolle Querformate, die die Ringspirale in der Mitte trennt. Es gehört zum Stil von Elisabeth Neudörfl, die 1997 bei Joachim Brohm an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig ihre Ausbildung abschloss, auf Worte und Farbe zu verzichten. Das war schon in ihrem vorherigen Fotoband, „Future World“, so, der in detailreichen Schwarzweißfotografien ein weder zeitlich noch geografisch näher bestimmtes urbanes Asien zeigte; städtische Superstrukturen wie die mehrfach übereinanderkreisenden Verzweigungen der Hochstraßen, dicht bevölkerte Einkaufsstraßen oder Hochhausschluchten im Wechsel mit stillen, konzentrierten Porträts junger Menschen.
Auch „Super Pussy Bangkok“ dokumentiert eine solche urbane Superstruktur. 600 Meter Straße, in denen wahrscheinlich ebenso viel, wenn nicht mehr, Kapital umgesetzt wird wie auf 600 Metern himmelstrebender Bürohochhäuser im Bankenviertel der Stadt. Ähnlich der Geschäftigkeit der Finanzwelt zeigt sich die Produktionsstätte der Sexindustrie in Neudörfls menschenleeren, bei Tag aufgenommenen Fotografien als hermetischer, anonymer Raum. Elisabeth Neudörfl maßt sich nicht an, hinter die Kulissen zu schauen. Stattdessen schaut sie auf die Kulissen und sieht sie sich ganz genau an. Ein intelligenter Schachzug, denn jetzt werden die Kulissen erst richtig als Kulissen sichtbar – in ihrer ganzen erbärmlichen Wucht und billigen Anmaßung. Weder „Ballermann 69“ noch das „Tip Top Restaurant“ haben es nötig, ins Ambiente zu investieren. „Super Pussy“, „The Dollhouse“ oder „Wild Cat“ – banale Betonschuppen hinter kolossalen Neonzeichen tun’s auch. So manifestiert sich an diesem Ort Macht in Architektur. Sie ist deshalb nicht geringer als die, die mit Glas, Stahl und Marmor baut.
Es spricht für die politische Sensibilität der 1968 geborenen Fotografin, dass der imaginäre Hintergrund, vor dem ihre Bilder von Bangkoks Rotlichtvierteln kritischen Sinn ergeben, unweigerlich als der Finanzdistrikt zu identifizieren ist.
Doch obwohl Neudörfls sorgsam komponierte Bilder, die sie mit einer mittelformatigen Spiegelreflexkamera vom Stativ aus aufnahm, recht besehen weniger Tatort- als vielmehr Täterfotografien sind – sie sprechen auch von den Opfern. Weil sie aber politisch und nicht moralisch argumentieren, argumentieren sie komplex. „Super Pussy“ macht deutlich, dass auch die Freier Opfer sind, hinters Licht geführt und in dem Moment kastriert, in dem sie ihre hart erarbeiteten Ersparnisse vom Konto abräumen, für den Superfick in Thailand. Sie mögen sich als Kunden hofiert glauben, tatsächlich sind sie arme Würstchen, nicht anders als die Prostituierten Ausgebeutete, Kalkulationsmasse im Geschäft mit dem Sex.
BRIGITTE WERNEBURG