: Suchtprävention statt Legalisierung
■ Auf der Welt-Drogenkonferenz in London bekannten sich die „Konsumentenländer“ zu Aufklärung und Härte
Nachdem der Kampf gegen die Drogenproduzenten keinen Erfolg gebracht hat und die Stigmatisierung von Konsumenten nur einen Teufelskreis von Sucht und Beschaffungskriminalität hervorgerufen hat, wollen die Regierungen ihr Hauptaugenmerk auf die Reduzierung der Nachfrage richten. Die Legalisierung, die auf einer gleichzeitig stattfindenden Gegenkonferenz gefordert wurde, stand nicht zur Debatte.
Von der dreitägigen Welt-Drogenkonferenz, die gestern in London zu Ende ging, war nicht viel mehr als eine erneute Kampfansage an den Drogenmißbrauch erwartet worden. Dennoch kamen Delegierte aus über hundert Ländern und 600 Journalisten ins „Queen Elizabeth Conference Centre“. Seit US-Präsident George Bush den Drogenhändlern im Februar vergangenen Jahres den Krieg erklärt hat, ist die Situation eher schlechter geworden. Kolumbiens Drogenbarone sind ihren Verfolgern immer einen Schritt voraus und finden neue Mittel und Wege, um die Drogen an die Konsumenten zu bringen. Die US-Behörden geben in einem Untersuchungsbericht von William Bennett zu, daß die Zahl der Junkies und die Gewalt in Washington nicht zurückgegangen sind. Bush hatte Washington zum Testfall für seinen „Drogenkrieg“ erklärt. In diesem Jahr sind in der US-Hauptstadt bereits 127 Morde im Zusammenhang mit Drogen begangen worden. In Kolumbien sind allein in der letzten Woche über 40 Menschen auf Anordnung der Drogenbarone ermordet worden.
Die britische Premierministerin Margaret Thatcher lobte Barco für seinen „Mut angesichts der Kriminellen“ in seinem Land und versprach ihm weitere 4,4 Millionen Pfund (12 Millionen Mark) zur Bekämpfung des Drogenhandels. Die karibischen Staaten erhalten von der britischen Regierung insgesamt eine Million Pfund. UN-Generalsekretär Peres de Cuellar umriß die neue Herangehensweise: „Während das ganze Problem äußerst komplex und schwierig anzugehen ist, so ist auch der Aspekt der Nachfrage gleichermaßen kompliziert und erfordert subtile und weitreichende Maßnahmen.“ Anders Frau Thatcher: In Großbritannien war das Problem der Nachfrage bis vor kurzem tabu, weil dadurch das Augenmerk automatisch auf die sozialen Gründe für Drogenmißbrauch gelenkt wird. Die britische Premierministerin erklärte kategorisch, daß es einer Rechtfertigung des Drogenmißbrauch gleichkäme, wenn man die Ursachen dafür untersuchen würde. Sie drehte die Kausalkette um und behauptete, daß Drogenmißbrauch erst zu sozialen Problemen führe. „Wir müssen die Bedeutung der Familie und der Gemeinschaft als Schutz gegen Drogenmißbrauch stärken“, sagte Thatcher. „Das Problem ist nicht alleine durch die Polizei zu lösen.“
David Mellor, Staatssekretär im Innenministerium, kündigte an, daß die britische Polizei im Spätsommer Sondereinheiten aufstellen werde. Diese Einheiten sollen in sieben Städten und innerstädtischen Bezirken eingesetzt werden und mit Elterngruppen und Initiativen zusammenarbeiten. Die Kosten für das Projekt betragen 2,5 Millionen Pfund. Die Zahl der Abhängigen in Großbritannien hat im vergangenen Jahr mit 150.000 eine Rekordhöhe erreicht. Die Zahl der Junkies in den Innenstädten ist im Vergleich zum Vorjahr um 17 Prozent gestiegen - bei weiterhin steigender Tendenz. In Anbetracht der Knastrevolten in Großbritannien und der Untersuchungen, die daraufhin angestellt wurden, sagte Mellor, daß die Gerichte keine Drogenabhängigen ins Gefängnis stecken sollten. Aus einem Bericht der Vereinigung der Bewährungshelfer geht hervor, daß zwischen 9.000 und 18.000 Gefangene regelmäßig Drogen nehmen. Das sind fünf- bis zehnmal so viele, wie offiziell zugegeben wird.
Unterdessen fand im Souterrain des Europäischen Parlaments im Westminster-Gebäude ein „alternativer Drogen-Gipfel“ statt, der von der „Anti-Prohibitionisten-Liga“ einberufen worden war. Auf der Pressekonferenz forderte der Anthropologe Anthony Henman einen legalen Weltmarkt für Cocablätter zu schaffen. Während er sprach, schob sich Henman genüßlich ein Cocablatt in den Mund und zerkaute es sorgfältig. Henman, Autor einer Studie über die negativen Folgen der Anbau-Substitution, wies darauf hin, daß sogar zahlreiche Coca-Bauern für eine Legalisierung eintreten. Loren Seigel von der US-amerikanischen „Civil Liberties Union“ sagte, daß der Drogenkrieg eine Katastrophe für die USA sei. Er trage zur Verbreitung von Aids bei, da Einwegspritzen kaum noch legal erhältlich seien. Seigel war entsetzt über Bemerkungen von US-Regierungsbeamten, daß der Kampf gegen Drogen mit derselben Entschlossenheit wie der Kampf gegen den Kommunismus in der 50er Jahren geführt werden müsse. Der Medizinprofessor Ernest Drucker aus New York forderte, mehr Geld für die Behandlung der Junkies bereitzustellen, statt für ihre Verfolgung. In New York könnten zur Zeit nur zwölf Prozent der Abhängigen behandelt werden, sagte Drucker.
Auf der offiziellen Konferenz drückte Barco zum Abschluß seine Hoffnung aus, daß die ehrenvollen Absichtserklärungen des Gipfels auch in Aktionen umgesetzt werden. Schließlich sei er der einzige Konferenzteilnehmer, der im wahrsten Sinne des Wortes in der Schußlinie stehe.
Ralf Sotscheck
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