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Suchbild mit Tuba

Längliche Gesichter, aber kein Katzenjammer nach Verstreichen des 32. Berliner JazzFests. Es hätte schlimmer kommen können, meint  ■ Roland H.H. Biswurm

Programmatisch mag man's schon. Auf dem Plakat sehen wir die Blasgeige des Günter Kieser: das Mundstück einer Tuba, Messingrohre, den Korpus einer Geige – ein Suchbild, in dem zwei von, sagen wir, drei Schwerpunkten des 32. Berliner JazzFests stecken, des zweiten Streichs von Albert Mangelsdorff als künstlerischem Leiter. Fehlt nur noch „Frankreich“, die dritte Programmschiene dieses Jahrgangs, der am Sonntag mit dem portugiesischen Vokalbeitrag der Maria João – gefällig – wie sonst? – zu Ende ging.

Potpourriartiges allenthalben, aber mit Konzept – vom Solokonzert des verblüffend virtuos agierenden Baßgeigers Renaud Garcia-Fons über die konzentriert- kraftvollen Folklorismen des Sclavis/Texier/Romano-Trios hin zu den pathostrunkenen Drehleiereien des Riessler/Clastrier/Rizzo-Trios.

Überhaupt die Dreierbesetzung – ob Mikhail Alperin/Sergej Starostin/Arkady Shilkloper, Steve Lacy/Jean Jacques Avenel/John Betsch oder auch Alex von Schlippenbach/Evan Parker/Paul Lovens –, sie war der schlichte Klassiker dieses Jahres, und nur einige Großensembles hielten dagegen. Zum Beispiel La marmite infernale (Der höllische Kochtopf) aus Lyon oder La compagnie Lubat de Gascogne – sie schaukelten komödiantisch auf Garonne, Rhône, Havel und Spree. Manch kritischem Chronisten gefiel das nicht, wurde doch damit eine Attitüde der mittlerweile so schlecht gelittenen sechziger Jahre heraufbeschworen: Kollektivgeist, Spaßguerilla.

Bernard Lubat, der Multiinstrumentalist aus dem kleinen Kaff namens Uzeste (dort findet alljährlich ein Freakfestival statt), spielte nicht nur eine postdadaistisch- theateraffine Musik jenseits der überkommenen Kategorien „Jazz“ oder „Rock“ (auch der Terminus „Kleinkunst“ ist verdächtig in diesem Zusammenhang, suggeriert er doch, es gäbe neben der kleinen auch mittlere und große Kunst), er gab auch Denkanstöße zum den Themen Regionalismus, Zentralismus, Internationalismus – nicht ausschließlich ein französisches Thema.

Henri Texier dagegen ist der französische Charlie Haden – ein Mann des Understatements, der sehr einfache Dinge sehr brillant zu tun versteht. Dann: Stéphane Grapelli am Sonntag nachmittag. Der 89jährige sitzt nach einem schweren Schlaganfall im Rollstuhl und schwebt traumwandlerisch über die Saiten. Der Strich ist Hauch, der aber nicht vorbeihuscht, sondern eine Geschichte erzählt: „I got rhythm“, „Sweet Georgia...“ – nichts Neues, gewiß nicht, aber angesichts des Erwartbaren ein kleines Wunder, das manchem an Herz und Seele ging.

Wirklich Unerwartetes gab es eher in der Parallelwelt des Total Music Meeting im Podewil. Cecil Taylor spielte dort einen der inspiriertesten, packendsten Sets im Duo mit der Trommlerlegende Sunny Murray.

Die geplante Reunion mit dem Sopransaxophonpionier Steve Lacy, Amerikaner in Paris, für 25 Jahre letzterer, beide Kinder im Geiste Thelonious Monks, fand dagegen nicht statt. Schlippenbach ließ immerhin Monkisches hören – späte Kunde von explorativer Kraft und befreiter Improvisation, die dem Namen dieses praktisch subventionsfreien JazzFest-Satelliten Ehre machte. Jost Gebers, organisatorisches Urgestein des Total Music Meeting, brachte es etwas pressesprecherisch, aber doch nicht unwahr auf den Punkt: „Wir sind Wahnsinnige, die seit Jahrzehnten diesen Spagat machen, und das Schöne daran ist doch, daß man vorher nie genau weiß, was passieren wird, das macht doch die Kraft dieser Musik, nicht wahr?“

Der Rest? Schien ein wenig live- fern für die Aufbereitung als Klangkonserve inszeniert zu sein. Die ARD-Anstalten und diverse Plattenfirmen (allen voran Radio Bremen in Zusammenarbeit mit dem Label Tradition und Moderne) waren treibende Kraft hinter der publicityträchtigen Reunion der Taj Mahal Tuba Band – mit Howard Johnson, Joe Dalay, Earl McIntyre, Bob Stewart. Allerdings: Jedem „Kleinkünstler“ hätte man die samstagnächtliche Songster-Session übelgenommen – „The Real Thing“ erschien 1971 und erklang nachgerade identisch nach 25 Jahren. Cecil Taylor dagegen vertraute bei seinem Gastspiel auf die Kraft der Humanoiden Persuasion – auch wenn die unter diesem Gruppennamen angetretenen gospelnden Sangesbrüder manches zu wünschen übrigließen.

Indes: Zumindest so schlecht wie befürchtet war das JazzFest unterm Strich dann doch nicht. Wenn es ein Resümee des Fünftagerennens gibt, dann dieses: Steter Tropfen höhlt den Stein. Ein Hauch Sixties lag über der Szenerie, der Wunsch, noch einmal an die großen Verbindlichkeiten wie Kollektivität, „Gewachsenheit“, „Spielfreude“ zu glauben, und dann und wann ging die Rechnung – wenn auch mit knapper Not – sogar auf. Im nächsten Jahr dann aber for something completely different.

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