piwik no script img

■ H.G. HolleinSubtexte

Die Frau, mit der ich lebe, drückt sich gern über die Bande aus. Natürlich bekommt sie trotzdem immer, was sie will. Als altgedientem Gefährten ist es mir mittlerweile ein Leichtes, aus der scheinbar beiläufig hingeworfenen Sachbehauptung „Es ist keine Marmelade mehr da“ die ultimative Aufforderung „Geh einkaufen!“ zu entschlüsseln. Allein, das hieße die volle Tiefe des apellativen Wollens der Gefährtin nur unzureichend auszuloten. Was die Gefährtin – aus ihrer Sicht völlig unmissverständlich – kundtut, ist der Umstand, dass sie ihre höchsteigene Lieblingsmarmelade aufgeschlabbert hat. Und so lautet denn des Codes eigentlicher Kern: „Bring ja nicht wieder irgendeinen Mist mit, den ich sowieso nicht esse!“ Auch der Zuruf „Ich muss los!“, der bisweilen morgens unter der Dusche an mein Ohr dringt, wäre – als hastige Verabschiedung aufgefasst – der Einstieg zu einem kommunikativen Desaster. Mitnichten ist damit gemeint: „Mach dich nur in Ruhe fertig, Schatz, ich gehe jetzt.“ Die Botschaft lautet vielmehr: „Du Arsch hast mich nicht rechtzeitig geweckt, jetzt hör schon auf, dich zu putzen und fahr mich gefälligst zur Arbeit!“ Die höchsten Ansprüche an den Exegetiker stellen jedoch offenbar vollkommen zusammenhanglose Bemerkungen wie „Ach, jetzt regnet es gerade.“ Dann gilt es aufs Feinsinnigste, den situativen und temporären Kontext in die Auslegung des kohabitierenden Orakels mit einzubeziehen. Fällt ein solcher Satz etwa mit dem Ende des Abendessens zusammen und wird er angesichts eines leeren Tiefkühlfachs geäußert, kann nur der wirklich erfahrene Gefährtinnenleser sich erschließen: „Ich hätte gern noch ein Eis zum Nachtisch. Wenn du mich wirklich liebst, gehst du jetzt durch den Regen zur Tankstelle und holst mir eins.“ Einigermaßen hilflos stehe ich allerdings der Kryptik eines Gefährtinnenwortes gegenüber, das ich – vermutlich gerade deshalb – mit frustrierender Regelmäßigkeit vernehmen muss: „Du hörst mir nie zu!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen