■ Querspalte: Style & Etiquette
„Gutes Benehmen hat Hochkonjunktur“, steht auf dem Fax, das davon berichtet, daß eine Umfrage im Auftrag der Zeitung Stil & Etikette eben selbiges herausgefunden hat.
Bevor man sich nun den harten „Facts“, wie wir Journalisten so sagen, zuwendet, könnte man noch ein bißchen darüber nachdenken, ob der Titel der Zeitung Stil und Etikette Stil hat. Womöglich würde es schicker bzw. „chicer“ klingen, wenn die Zeitung Stil & Etiquette hieße. Denkbar, wenn auch gewagt, wäre auch Style und Etiquette. Style & Etiquette hätte einen sozusagen völkerverbinden Nebeneffekt, der diskret eine Versöhnung zwischen den Freunden und Feinden unseres Lieblingsfinanzministers (immer stöhnt mein Computer, wenn er „ehemalig“ schreiben soll; nun ist er durch Anführungszeichen überlistet worden – haha!) vorantreiben könnte, dessen Rücktritt zwar Stil hatte, aber nicht unbedingt der Etikette entsprach. Wobei „Etikette“ in nachhöfischen Zeiten, in der Etikettierungen als „Schubladendenken“ gelten, nicht mehr angesagt ist. Ob „&“ besser ist als „und“, darüber ließe sich auch lange debattieren. Nun zu den wie immer überraschenden Facts: 95 Prozent halten es für wichtig, ältere Mitbürgern beim Tragen schwerer Taschen zu unterstützen! 99,1 Prozent meinen, es sei „selbstverständlich“, andere ausreden zu lassen. „Wenig Probleme“ haben junge Menschen damit, Leute unangemeldet zu besuchen: 11 Prozent kommen stets unangemeldet. Ist das guter Benimm?
Glaub' ich nicht! Einerseits ist es ausgesprochen unhöflich, ständig unangemeldet zu Besuch zu kommen, ein Brauch, der nur in der menschenverachtenden SED-Diktatur entstehen konnte. Außerdem kommen Jugendliche heute mit coolkraßbunten Handys zur Welt, die sie sich nicht scheuen auch zu benutzen. Und „selbstverständlich“ und „wichtig“ kann man ja alles mögliche finden und älteren Mitbürgern, wenn sie dann beim Tragen ihrer schweren Taschen (Gold? Tabletten? Dosenbier? Hundefutter?) leis' stöhnen und keuchen, freundlich zureden. Detlef Kuhlbrodt
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