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Studis stürmen Thüringer Landtag

■ Studenten in Erfurt und Leipzig wollen nicht „abgewickelt“ werden/ Minister macht Zugeständnisse

Erfurt/Leipzig (dpa/afp) — Studenten haben gestern das Thüringer Landtagsgebäude in Erfurt gestürmt. Zuvor hatten einige tausend Studenten Thüringer Fachschulen bei einer Protestdemonstration von Kultusministerin Christine Lieberknecht Auskunft über die Zukunft ihrer Bildungseinrichtungen verlangt. Als die CDU-Politikerin nicht gesprächsbereit war, besetzten sie den Eingang des Gebäudes.

Auf Vermittlung des Landtagspräsidenten Gottfried Müller (CDU) wurde eine Abordnung von etwa 20 Studenten von der Ministerin zu einem Gespräch empfangen. Anschließend verlas sie vor den Studenten im Freien eine Erklärung. Sie riet den Lehrkräften, die befristeten Arbeitsverträge zu unterschreiben, um einer Kündigung vorzubeugen. Bis Mitte Januar wolle sie mit Fachleuten über die künftige Fachschullandschaft Thüringens beraten. Mit Entscheidungen sei erst Ende Februar zu rechnen.

Alle Studenten in Sachsen, deren Hochschulen oder Institute „abgewickelt“ werden, können ihre Abschlüsse an fachadäquaten Einrichtungen erhalten. Das hat zumindest der sächsische Innenminister Rudolf Krause (CDU) laut 'adn‘ versichert.

Gestern hatten Hunderte von Leipziger Studenten protestiert: „Wir lassen uns nicht einfach abwickeln und unsere Ausbildungsstätten liquidieren.“ Sie zogen von einer Vollversammlung direkt zur Besetzung der Rektoratsetage der Uni. Mit der Besetzung der Rektoratsetage soll erreicht werden, daß die Universitätsleitung eine Verwaltungsklage gegen den sächsischen Wissenschaftsminister Hans-Joachim Meyer (CDU) anstrengt, der am vorigen Mittwoch mit seinen Plänen für Aufregung an den wissenschaftlichen Bildungsstätten im Freistaat sorgte.

Der Studentenrat forderte am Montag abend „eine schonungslose und ehrliche Erneuerung“ der Universität. Alle Leitungsfunktionen sollten auf ein Jahr kommissarisch besetzt werden, hieß es weiter. Außerdem müßten juristisch anerkannte Studentenvertretungen geschaffen werden.

Nach Krause werde die Leipziger Universität Studenten der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) übernehmen, erläuterte Krause. Als Kriterien für die Beibehaltung einer Einrichtung nannte Krause, ob sie „internationalen wissenschaftlichen Ruf genießt, also ein Unikat darstellt“, und ob sie für die Bundesrepublik oder darüber hinaus von Bedeutung sei. Diese Voraussetzungen erfüllten beispielsweise das Institut für Museologie, die Palucca- Schule und viele andere.

Bei der Frage der „Abwicklung“ sei ferner entscheidend, inwieweit die jeweiligen Einrichtungen als absolute Stütze der alten Gesellschaft gegolten hätten und „was wir uns finanziell leisten können“. Das Bundesland Sachsen verfügt laut Krause über 40 bis 50 Prozent aller Bildungseinrichtungen auf dem Territorium der ehemaligen DDR.

Selbst Nordrhein-Westfalen mit zweieinnhalbmal soviel Einwohnern wie Sachsen habe nicht eine solche Zahl von Fach- und Hochschulen beziehungsweise wissenschaftlichen Einrichtungen aufzuweisen. Unter dem sehr dehnbaren Begriff „Abwicklung“, der aus dem Einigungsvertrag stammt, kann sowohl die Übernahme von Einrichtungen als auch deren Schließung verstanden werden.

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