■ Press-Schlag: Studienreise nach Madrid
Manchmal schreibt der Sport die ungewöhnlichsten Geschichten. Da wirft eine kleine Amateurmannschaft einen Fußball-Bundesligisten aus dem Pokalwettbewerb, oder ein Tennisspieler mit dreistelliger Weltranglistenposition bezwingt die Nummer eins. Die Namen der Überraschungssieger sind dann am nächsten Tag in allen Zeitungen zu lesen, und aus Unbekannten werden plötzlich Helden. Für die unerwarteten Sieger sind diese Erlebnisse die absoluten Höhepunkte ihrer sportlichen Laufbahn, denn zumeist verschwinden sie kurze Zeit später wieder in ihrer gewohnten Anonymität.
Heute abend wird wieder so eine Geschichte geschrieben, nur das Heldentum wird dabei wohl fehlen. Die Basketballfrauen des VfL Marburg treten zum Rückspiel im Europapokal der Pokalsiegerinnen bei Bex Madrid an. Eigentlich klingt das nicht besonders interessant, zumal die sportliche Entscheidung längst gefallen ist. Die Marburgerinnen verloren vor einer Woche schon das Hinspiel mit 40:92 und sind somit praktisch ausgeschieden. Dennoch sprechen sie von der Erfüllung eines sportlichen Traumes.
Ein Traum deshalb, weil das Treffen der Mannschaften von Madrid und Marburg unterschiedlicher nicht sein könnte. Das Team aus der Universitätsstadt besteht hauptsächlich aus Studentinnen, die viermal pro Woche für zwei Stunden trainieren. Geld bekommen dafür lediglich die beiden Kanadierinnen Lani Kalutycz und Tracy Nazarchuk, alle anderen verdienen für ihre Korbleger keinen Pfennig.
In der Bundesliga stehen die von Uwe Scheidemann betreuten Damen auf dem vorletzten Tabellenplatz, wobei sie das deprimierende Punktekonto von 0:20 aufweisen. Im Europapokal spielen sie, obwohl sie in der vergangenen Saison das deutsche Pokalfinale gegen den Barmer TV verloren hatten. Da Barmen aber auch Meister wurde, bevorzugten die doppelten Titelträger eine Teilnahme am Europapokal der Meisterinnen und öffneten den Hessinnen die Tür zur internationalen Basketballbühne. Und nachdem der VfL dort in der ersten Runde Sparta Bertrange aus Luxemburg ausschalten konnte, zog man das große Los Bex Madrid.
Der spanische Verein gehört einer der größten Banken des Landes und verfügt über finanzielle Möglichkeiten, die für deutsche Verhältnisse unvorstellbar sind. In der vereinseigenen Halle trainieren die Spielerinnen dreimal pro Tag. Alle sind Vollprofis, mit einem durchschnittlichen Monatseinkommen von fünftausend Mark plus Wohnung und Dienstwagen. Spitzenverdienerin ist die Amerikanerin Pauline Jordan, die für ihr sieben Monate dauerndes Engagement in der spanischen Hauptstadt 95.000 Dollar bekommt. Bei einem Titelgewinn legt der Verein noch einmal 25.000 drauf. Betreut wird das Team von einem Manager und zwei Trainern, die etwa das doppelte Gehalt der Spielerinnen haben.
An den Zahlen sieht man, daß Frauen-Basketball im Lande des Europameisters Spanien einen ganz anderen Stellenwert hat. Und man versteht auch, wieso die Marburger Spielerin Heide Felke seit Wochen diesem Tag entgegenfiebert. „Ich weiß genau, daß ich nie wieder im Europacup spielen werde. Wegen Basketball nach Madrid zu fahren und dann noch gegen eine solche Mannschaft anzutreten, das ist schon eine tolle Sache“, sagt die Studentin, deren Euphorie durch die sportliche Aussichtslosigkeit der Reise keineswegs geschwächt wird.
Auch wenn sie haushoch verlieren und morgen nicht in den großen Schlagzeilen auftauchen, werden die neun Marburgerinnen ihre Studienfahrt in Sachen Basketball wohl stets in bester Erinnerung behalten. Andreas Müller
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