Klimaziele und Wirtschaftswachstum: Und das Wachstum?

Das Wuppertal Institut hat eine Studie für Fridays for Future erstellt. Das wichtigste Thema kommt nicht vor.

Einkaufskorb, der halb grün ist

Illustration: Katja Gendikowa

Fridays for Future haben absolut recht: Die Bundesregierung und auch die Grünen besitzen keinerlei Plan, wie sie die Erderwärmung bei 1,5 Grad Celsius stoppen wollen. Fragt sich nur, warum die Politik so schnarchig ist.

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Die Antwort findet sich ausgerechnet in der Studie, die Fridays for Future beim Wuppertal Institut in Auftrag gegeben haben und die von der GLS-Bank mit 30.000 Euro finanziert wurde. Die ForscherInnen sollten darstellen, wie Deutschland seine Klimaziele erreichen kann.

Das Ergebnis ist eine lange Liste von technischen Maßnahmen, die von der Gebäudedämmung bis zum grünen Wasserstoff reichen. Das ist verdienstvoll, denn ohne Innovationen wird der Klimaschutz garantiert nicht funktionieren. Trotzdem bleibt ein Unbehagen zurück: Nirgendwo wird die Rechnung aufgemacht, was diese technischen Vorschläge konkret für die Wirtschaft bedeuten würden. Also zum Beispiel für die Arbeitsplätze, die Sparguthaben, die Wirtschaftsleistung oder die individuellen Einkommen. Es fehlt die ökonomische Rückkopplung, die für die Politik aber alles entscheidend ist.

Diese seltsame Lücke ist nicht nur beim Wuppertal Institut zu beobachten. Vergleichbare Studien der Fraunhofer-Gesellschaft, des Forschungszentrums Jülich oder des Umweltbundesamts drücken sich ebenfalls um vernünftige ökonomische Analysen. Denn die Wahrheit ist unbequem: Klimaschutz gibt es nicht umsonst. „Grünes Wachstum“ ist eine Fiktion, stattdessen würde der Ausstoß an Waren und Dienstleistungen sinken. Wir würden nicht hungern und nicht frieren. Wir könnten gut leben. Aber ein gewisser Verzicht wäre nötig, um das Klima zu retten. Dieser Verzicht wird allerdings in keiner Studie konkret ausbuchstabiert.

Der Ausgangspunkt ist plausibel: Deutschland darf insgesamt nur noch 4.200 Mil­lio­nen Tonnen CO2 emittieren, wenn es seinen fairen Beitrag zum 1,5-Grad-Ziel leisten will. Momentan stoßen wir etwa 800 Mil­lio­nen Tonnen pro Jahr aus, womit wir also schon 2026 unser gesamtes Kontingent aufgebraucht hätten, wenn wir weiter wirtschaften wie bisher. Eine zusätzliche Übergangszeit können wir uns nur erarbeiten, wenn wir unsere Emissionen ab sofort radikal reduzieren. Aber selbst in diesem Szenario müssten wir ab 2035 völlig klimaneutral sein.

Infrastruktur ist nicht klimaneutral

Schon die erste Hürde taucht in der Wuppertal-Studie gar nicht auf: Es ist keinesfalls klimaneu­tral, jene Infrastruktur zu errichten, mit der man hinterher klimaneutral sein will. Die Herstellung von Windrädern, E-Autos, Solarpaneelen, Wärmedämmung oder „grünen“ Stahlwerken emittiert sehr viel CO2. Genaue Zahlen gibt es nicht, aber eine Pi-mal-Daumen-Kalkulation macht zumindest die Dimension des Problems deutlich.

Das Wuppertal Institut rechnet damit, dass es 100 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich kosten dürfte, Deutschland klimaneutral umzurüsten. Dies entspricht etwa 3 Prozent der jetzigen Wirtschaftsleistung, wären also auch mindestens 3 Prozent unserer derzeitigen CO2-Emissionen. Bis 2035 hochgerechnet bedeutet dies: 360 Millionen Tonnen CO2 müssen wir für die klimaneutrale Infrastruktur reservieren. Dies sind 8,6 Prozent von jenen 4.200 Millionen Tonnen, die wir überhaupt noch ausstoßen dürfen.

8,6 Prozent klingen vielleicht harmlos. Sie sind es aber nicht. Es wäre schmerzhaft, weitere 360 Millionen Tonnen CO2 irgendwie einzusparen, damit die klimaneutrale Infrastruktur nicht die Klimabilanz ruiniert. Um die Größenordnung zu verdeutlichen: Eine Stunde Streamen im WLAN produziert 2 Gramm CO2. Es würde also nicht viel bringen, wenn sich die Deutschen plötzlich eine Internetdiät auferlegen würden, damit die Windparks klimaneutral errichtet werden können.

Dies ist kein Argument gegen die Klimawende. Wir müssen unbedingt Windparks, Solarpaneele und grüne Stahlwerke bauen. Aber das 1,5-Grad-Ziel werden wir nicht mehr erreichen – auch weil die grüne Infrastruktur nicht ohne zusätzliche CO2-Emissionen zu haben ist.

Irgendwann werden die Windstandorte knapp

Gänzlich ungeklärt ist zudem die Frage, inwieweit die Ökoenergie reichen wird, um die bisherige Wirtschaftsstruktur zu befeuern. Denn Windräder und Solarpaneele lassen sich in Deutschland nicht beliebig vermehren; irgendwann werden die geeigneten Standorte knapp. Theoretisch wäre es natürlich denkbar, dass man zusätzlich noch klimaneutralen Wasserstoff importiert, der in Gegenden produziert wurde, wo mehr Wind weht oder die Sonne stärker strahlt. Also aus Marokko, Norwegen, Island oder Chile.

Aber auch dieser Ansatz hat seine Grenzen, denn der grüne Wasserstoff wäre ja nicht gratis zu haben. Das Wuppertal Institut nimmt in seinen Szenarien an, dass wir künftig für den importierten Wasserstoff genauso viel bezahlen werden wie bisher für Öl, Gas und Kohle. Allerdings wären die Energiemengen geringer.

Das Wuppertal Institut geht daher davon aus, dass der Endenergiebedarf in Deutschland bis 2050 um 36 bis 58 Prozent sinken muss. Das ist sportlich, aber machbar, wie die vergangenen 30 Jahre zeigen. Von 1990 bis 2017 ist die Energieeffizienz der deutschen Wirtschaft um 54 Prozent gestiegen.

Allerdings lauert da eine Tücke: Obwohl die Energieeffizienz seit 1990 enorm zugelegt hat, ist der Endenergieverbrauch in Deutschland nur um ganze 1,5 Prozent gesunken. Denn in der gleichen Zeit ist die Wirtschaft rasant gewachsen – um knapp 50 Prozent. Dieses Phänomen nennt sich „Rebound Effekt“. Wenn weniger Rohstoffe pro Wareneinheit benötigt werden, dann wird diese Ersparnis gern genutzt, um mehr Güter zu konsumieren. Die Autos werden schwerer, die Flugreisen zahlreicher, die Wohnungen größer.

Grünes Schrumpfen statt grünes Wachstum

Dies bedeutet im Umkehrschluss: Die verbrauchte Endenergie sinkt bis 2050 nur, wenn die Wirtschaftsleistung ab sofort stagniert – und zwar für immer. Für „Grünes Wachstum“ reicht die Ökoenergie nicht. Punkt.

In Wahrheit benötigen wir sogar ein „grünes Schrumpfen“: Die konsumierten Mengen müssen sinken, sonst wird es nichts mit der Klimaneutralität. Zwischen den Zeilen ist dies auch beim Wuppertal Institut zu erkennen. So sollen unter anderem die Zahl der privaten Autos in Deutschland halbiert werden, die Inlandsflüge ganz entfallen und nur noch jeder vierte internationale Flug abheben. Diese Maßnahmen sind zweifellos zwingend, würden aber die Wirtschaftsleistung reduzieren.

Einen stagnierenden oder gar schrumpfenden Kapitalismus gab es noch nie. Es kam immer wieder zu Krisen, das ja. Aber jede noch so schwere Rezession wurde überwunden, indem man auf Wachstum setzte. Wie der Kapitalismus stabil bleiben soll, wenn Wachstum ausgeschlossen ist – das weiß keiner und hat auch noch niemand genau berechnet. Dies wäre eine Aufgabe für die Volkswirte, die das Thema Klimakrise aber hartnäckig ignorieren.

Ein weiteres tückisches Thema ist das Geld. Momentan verfügen die Deutschen über ein Finanzvermögen von etwa 6,55 Billionen Euro. Hinzu kommen Sachwerte von etwa 20,8 Billionen. Das meiste sind Wohnbauten (9,8 Billionen) und Gewerbeimmobilien (7 Billionen).

Vermögen schmilzt wie das Polareis

Der Wert von Aktien oder Häusern hängt von der Rendite ab. Wenn nun aber die Wirtschaft stagniert oder gar schrumpft, dann fallen auch die Gewinne, und viele Firmen gehen gänzlich pleite. Klimaschutz bedeutet also, dass die Vermögenswerte dahinschmelzen wie heute das Polareis. Es würde jeden treffen, nicht nur Millionäre. Auch die stinknormale Lebensversicherung könnte nicht mehr zurückzahlen, was einst an Prämien eingezahlt wurde.

Klimaschutz ist dringend und niemand würde hungern. Aber es wäre ein anderes Leben. Es würden nicht nur Windräder aufgestellt und Wärmedämmungen eingebaut – es wäre eine völlig neue Wirtschaftsordnung, für die bisher niemand ein praktikables Modell hat.

Das Wuppertal Institut kennt die Grenzen der eigenen Studie, benennt sie aber nirgends deutlich. Stattdessen heißt es verschwiemelt, man wolle „Denkanstöße“ liefern. Diese methodischen Hinweise sind jedoch so versteckt untergebracht, dass sie – verständlicherweise – von Fridays for Future übersehen wurden. Die SchülerInnen glauben daher, sie hielten jetzt eine „Machbarkeitsstudie“ in ihren Händen, wie es auf ihrer Homepage heißt.

Doch „machbar“ ist bisher gar nichts, weil das Wuppertal Institut ja nur technische Vorschläge geliefert hat. Sie sind zudem unvollständig, da glatt übersehen wurde, dass der Bau der neuen klimaneutralen Infrastruktur selbst erhebliches CO2 emittiert.

Wer trägt die Lasten?

Aber das Hauptproblem aller Studien ist, dass genau jene Fragen nirgendwo auftauchen, die für die Politik zentral sind: Was wird aus Arbeitsplätzen, was aus Einkommen und Vermögen, wenn die Wirtschaft stagniert oder schrumpft? Wer trägt welche Lasten?

Es ist nicht harmlos, dass das Wuppertal Institut Fridays for Future in die Irre führt. Da die SchülerInnen glauben, sie hätten eine „Machbarkeitsstudie“ erhalten, werden sie nun erst recht nicht verstehen, warum die Politik nicht genug macht. Eine ganze Generation von SchülerInnen wird so in die Politikverdrossenheit getrieben.

Dabei sind die SchülerInnen eigentlich schon auf der richtigen Fährte. Sie arbeiten mit den Gewerkschaften zusammen oder entwickeln Konzepte, wie man Energiesteuern gerecht erheben könnte. Aber bisher fehlt die makroökonomische Analyse. Wie schön wäre es daher, wenn die GLS-Bank noch einmal 30.000 Euro spendieren würde – für eine Studie, die die Ergebnisse aus Wuppertal mit einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verbindet.

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ist taz-Wirtschaftsredakteurin. Vor fast vierzig Jahren wurde sie durch das Waldsterben politisiert. Seither staunt sie über den Glauben, es könnte „grünes Wachstum“ geben.

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