: Streit um Wohnungen
■ Bausenator Nagel (SPD) will heute Senatsvotum gegen die Privatisierungspläne von Finanzsenator Pieroth erwirken
Als „Konflikt, der sich zum Dollpunkt der Koalition“ ausweiten könne, und als „Verstoß gegen die Geschäftsverteilung im Senat“ bezeichnete gestern Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) die Vorstellungen von Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) zur Privatisierung kommunaler Wohnungen im Rahmen der Altschuldenhilfe.
Pieroth hatte, wie berichtet, in der vergangenen Woche die Geschäftsführer der Ostberliner Wohnungsbaugesellschaften unter Androhung möglicher Regreßansprüche aufgefordert, die von Bonn festgelegten 15 Prozent des Wohnungsbestandes noch in diesem Jahr an private Kapitalanleger zu verkaufen. Nur so, warb Berlins oberster Haushaltshüter, könnten künftige Eigentümer die für 1993 noch geltenden Abschreibemöglichkeiten von 50 Prozent aus Betriebsvermögen realisieren. Außerdem, so Pieroth an die Wohnungschefs, seien andere Verlautbarungen unbeachtlich. Pieroths Vorstoß kurz vor Jahresende kommt nicht von ungefähr: Das im Zusammenhang mit dem Solidarpakt beschlossene Altschuldenhilfegesetz der Bundesregierung (Schuldenerlaß gegen Privatisierungsverpflichtung) sieht vor, daß die zum Verkauf stehenden Wohnungen „vorrangig“ an die Mieter veräußert werden müssen. Der Haken dabei ist, daß das Gesetz erst zum 1. Januar 1994 in Kraft tritt. Werden die Wohnungen bereits jetzt verkauft, brauchen die Mieter nicht gefragt zu werden.
Bausenator Nagel bezeichnete das Vorgehen Pieroths gestern als „Stück aus dem Tollhaus“ und eine „abgrundtief zynische Herangehensweise gegenüber den Mietern“. Zwar hätten vor dem Hintergrund mangelnden Kaufinteresses seitens der Mieter auch die Sozialdemokraten einer Veräußerung an Dritte zugestimmt, doch seien 10 Prozent hier die „Grenze des Erträglichen“. Auf jeden Fall aber müßten die von der Bauverwaltung genannten Bedingungen, darunter das Verbot von Eigenbedarfskündigungen und Umwandlungen auch bei späteren Eigentümerwechseln, vertraglich festgeschrieben werden.
Bis gestern, bedauerte Nagel, habe es in diesen Punkten keine Einigung mit dem Finanzsenator gegeben. Der Bausenator kündigte an, auf der heutigen Senatssitzung eine Entscheidung in seinem Sinne herbeizuführen. Eine Privatisierung nach den Vorstellungen Pieroths sei „wohnungspolitisch unerträglich“ und mit den Sozialdemokraten im Senat nicht machbar.
Unterdessen versuchte Senatssprecher Michael Andreas Butz, den Konflikt tiefzuhängen. „Sachlich begründete Vorlagen“, so Butz unter Hinweis auf Nagel, „werden sich nicht zu Dollpunkten ausweiten.“ Uwe Rada
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen