Streit um Radweg-Bau in Flensburg: Müssen Eichen weichen?
Flensburg streitet wieder über Bäume: Sie sollen für einen Radweg gefällt werden. Der Naturschutzbeauftragte hält das Vorhaben für überdimensioniert.
„Bäume sind ein emotionales Thema, besonders hier“, sagt Rathaussprecher Clemens Teschendorf. In der Stadt wird seit Jahren über ein Wäldchen am Bahnhof gestritten, auf dem ein Hotel samt Parkhaus entstehen sollte, das Ende ist noch offen. Nun erhitzt ein anderes Projekt die Gemüter in der Stadt an der dänischen Grenze: Es geht um 23 Bäume an der Einfallstraße Exe, darunter Bergahorne, Robinien, Birken, Linden und Roteichen, sowie um eine nicht bezifferte Anzahl von Bäumen für einen weiteren Radweg am südlichen Ende der Stadt.
Von „2.500 Quadratmetern Versiegelung“ spricht der Naturschutzbeauftragte, Ralph Müller, in einem Offenen Brief für beide Baupläne. Müller vertritt den örtlichen Naturschutzbeirat, ein ehrenamtlich besetztes Gremium, das die Untere Naturschutzbehörde der Stadt berät und Beschlüsse von Politik und Verwaltung kritisch hinterfragt. Den Ausbau des Radwegs an der Exe nennt Müller „immerhin diskutabel“, den Plan für den Stadtsüden hält er dagegen für unverhältnismäßig: „Er sollte gänzlich unterbleiben.“
Kritiker*innen der Ausbaupläne bemängeln auch die Kosten: Allein für den etwa einen Kilometer langen Radweg an der Exe werden laut Flensburger Tageblatt rund 3,9 Millionen Euro fällig, von denen die Stadt 1,7 Millionen tragen muss. „Ich befürchte, unsere städtischen Vertreter haben jegliches Augenmaß verloren“, heißt es in einem Leserbrief der Zeitung. „Millionensummen und gefällte Bäume für ein paar Meter Fahrradweg, der nicht besser und schlechter ist als 90 Prozent der Fahrradwege insgesamt.“
Der ewige Konflikt
Mit dem Konflikt zwischen Rad und Baum hat Jan Voss ständig zu tun. „Am liebsten ist uns, wenn es möglich ist, den Raum für Autos zugunsten der Fahrräder zu beschränken“, sagt der Landesgeschäftsführer des Fahrradclubs ADFC. „Das betrifft den rollenden, aber vor allem den ruhenden Verkehr – also Parkstreifen zu Radwegen.“ Auch das gebe beträchtliche Konflikte, weiß Voss. „Aber wenn wir das Ziel haben, den Autoverkehr mittelfristig einzuschränken, muss das Angebot an Parkplätzen geringer werden.“
An der Flensburger Exe besteht diese Möglichkeit nicht: Die Straße ist je einspurig und ohne Parkplätze am Rand. „Wir würden nicht ohne Not Bäume fällen“, sagt Rathaussprecher Teschendorf. „Aber diese Ecke ist eine der großen Ausfallstraßen der Stadt, der Verkehr fließt in Richtung Autobahn, zur dänischen Grenze und zur Bundesstraße 200, da ist richtig viel los, und wir haben nicht unendlich viel Platz.“
Es gehe darum, den Radfahrenden ein attraktives Angebot zu machen: „Wer auf dieser Strecke fährt, will nicht Landschaft gucken, sondern schnell von A nach B.“ Auch Räder mit Anhänger müssten Platz haben, und wer schnell – etwa mit Elektroantrieb – unterwegs sei, müsse überholen können. Nur wenn sich Radfahrende zügig und sicher bewegen könnten, gebe es Anreize, das Rad als Verkehrsmittel in der Stadt einzusetzen, sagt Teschendorf. Als Ausgleichsmaßnahme werde die Stadt doppelt so viele Bäume pflanzen, wie gefällt werden. „Und zwar im selben Viertel, nicht irgendwo am Stadtrand“, betont der Sprecher.
Dass Gemeinden zunehmend die Verkehrssicherheit der Radfahrenden im Blick haben, begrüßt ADFC-Geschäftsführer Voss. Die lokale Politik folgt damit der „Radstrategie Schleswig-Holstein“. Mit ihr soll das landesweite Radverkehrsnetz nach bestimmten Standards ausgebaut werden – trotz der Konflikte, die fast zwangsläufig auftauchen, wenn Raum neu geordnet wird.
Standards für den Ausbau von Wegen
Dabei gehe es nicht darum, den einen „Aspekt gegen den andern auszuspielen“, heißt es in einer Vereinbarung zum Umgang mit „Wurzelaufbrüchen in Radwegen“, die die Landesregierung, vertreten durch Verkehrs- und Umweltministerium, mit Verkehrs- wie Naturschutzvereinen geschlossen hat. „Im Gegenteil, beide Aspekte, sowohl die klimaschützenden Bäume als auch das klimaschützende Radfahren sind wichtig und müssen in jedem Einzelfall sorgfältig abgewogen werden.“ Auf 20 Seiten legen die Beteiligten Regeln fest, wie und wann Baumwurzeln gekappt werden sollen. Über Standards für den Ausbau von Wegen soll in einer zweiten Runde verhandelt werden.
Aber die Frage, ob ein Weg überdimensioniert oder Standard-gemäß ist, beantwortet bereits heute die Straßenverkehrsordnung. Die verlangt für „benutzungspflichtige Einrichtungsradwege“ mindestens 1,50 Meter, möglichst jedoch zwei Meter. Ist der Weg in beide Fahrtrichtungen geöffnet, sollten es 2,40 Meter sein. Ausnahmen sind demnach nur „nach sorgfältiger Überprüfung an kurzen Abschnitten“ möglich.
Aus Sicht des Naturschutzbeauftragten Ralph Müller seien solche Vorgaben für die Verwaltung praktisch: „Man kann darauf verweisen und muss den Ressourcenverbrauch und die Schäden nicht vertreten.“ Er schlägt vor, mit dem Geld besser innerstädtische Wege auszubauen. „Eine derartige Verbesserung der Radwegeinfrastruktur fände auf bereits versiegelten Flächen und ohne Gefährdung des Baumbestandes statt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Syrische Geflüchtete in Deutschland
Asylrecht und Ordnungsrufe
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Doku über deutsche Entertainer-Ikone
Das deutsche Trauma weggelacht
Sednaya Gefängnis in Syrien
Sednaya, Syriens schlimmste Folterstätte
Schwarz-Grün als Option nach der Wahl
Söder, sei still!