Aus zwei mach drei: Scholz' Atom-Lösung

Nach langem Ampel-Streit zwischen verkündet der Kanzler, dass alle drei laufenden Atomkraftwerke bis April in Betrieb bleiben sollen. Die Grünen wollten nur zwei erdulden

Sie reden – bisher aber aneinander vorbei: Kanzler Scholz mit Robert Habeck und Christian Lindner Foto: Markus Schreiber/ap

Aus Berlin Jasmin Kalarickal und
Stefan Reinecke

Nach wochenlangen Streit um den Weiterbetrieb der noch verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland hat Bundeskanzler Olaf Scholz am Montagabend ein Machtwort gesprochen. In einem Schreiben an die zuständigen Minister ordnete er am Montag an, die gesetzliche Grundlage zu schaffen, um die Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 sowie Emsland über den 31. Dezember 2022 hinaus bis längstens zum 15. April 2023 betreiben zu können. Der Grünen-Bundesparteitag hatte am Wochenende Weiterbetrieb des Atommeilers Emsland über 2022 hinaus ausgeschlossen.

Noch am Montagnachmittag hatte die Ampel verwirrend in verschiedene Richtungen geblinkt. Grüne und FDP bekräftigen im AKW-Streit nochmal ihre Positionen, die sich diametral widersprechen. Die FDP will unbedingt die drei noch laufenden AKWs bis mindestens 2024 weiter in Betrieb lassen, wie sie seit Wochen in jede Kamera sagt. Die Atomkraft werde als Brückentechnologie gebraucht, erklärt FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai auch am Montag. Zuvor blockierte FDP-Chef Christian Lindner Robert Habecks Atomgesetz im Kabinett.

Die Grünen hatten auf ihrem Parteitag eine rote Linie gezogen und wollen keinesfalls neue Brennstäbe akzeptieren, die für die von der FDP geforderte Laufzeit nötig wären. „Wer rote Linien formuliert, handelt unklug und verantwortungslos“, holzte Bijan Djir-Sarai zurück. Der Konflikt wirkte ausgehärtet – deshalb sah sich Scholz wohl zu dem Machtwort genötigt. Die FDP will sich nach etlichen Wahlniederlagen als nüchterne Technikpartei gegen die sturen grünen Ideologen profilieren. Die Grünen wollen nach vielen Anpassungen an die Regierungsrealität inklusive Waffen für Saudi-Arabien wenigstens bei den AKWs Standfestigkeit zeigen.

Gleichzeitig aber bemühten sich beide Parteien am Montag Optimismus zu verbreiten. Djir-Sarai erklärt munter, man werde sich spätestens Dienstag einigen. Ähnliches hört man von den Grünen. In der Sache ist man kompromisslos. Mit dem Reservebetrieb für die beiden süddeutschen AKWs, so Grünen-Chefin Ricarda Lang, sei man der FDP schon sehr weit entgegengekommen. Andererseits verströmt auch Lang die Gewissheit, dass die Koalition an dem Atomstreit „nicht zerbrechen“ werde. Auch ganz überzeugte grüne Atomkraftgegner sind sicher, dass sich die Ampel am Ende einigt.

Diese Mixtur von krachendem Streit und gelassenem Optimismus hat Scholz nun zu beenden versucht. Kanzler Scholz, Finanzminister Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck hatten am Montag abermals versucht einen Kompromiss zu finden. Die Sache war kompliziert geworden – Grünen und FDP konnten sich nicht verständigen. Wie tief der Dissens war zeigte, dass Grüne und Liberale sich zuvor noch nicht mal darauf einigen konnten, was sie vereinbart hatten. Die Grünen verwiesen auf das drei Wochen alte Ampel-Papier zu dem 200 Milliarden schweren Gaspreisdeckel. Dort steht: „Wir schaffen die Möglichkeit, die süddeutschen Atomkraftwerke bis zum Frühjahr 2023 laufen zu lassen.“ Die Grünen halten dies für den Beweis, dass man sich doch schon auf den Reservebetrieb für Isar 2 und Neckarwestheim 2 und das Aus für das AKW im Emsland verständigt hatte. Die FDP bestritt das. Dass die Deutungen so weit auseinandergehen zeigt: Das Vertrauen in der Ampel ist brüchig.

Für Scholz Intervention war auch der Zeitdruck auschlaggebend. Das AKW Isar 2 muss repariert werden, um 2023 als Reserve zur Verfügung stehen zu können. Dafür muss der Bundestag in dieser Woche ein Gesetz beschließen. Sonst geht Isar 2 endgültig vom Netz. Scholz Oktroi gibt den Grünen etwas – es wird keine neue Brennstäbe geben. Die FDP kann das dritte AKW als Erfolg verbuchen. Finanzminister Christian Lindner begrüßt das Scholz Entscheidung. „Die weitere Nutzung des Kernkraftwerks Emsland ist ein wichtiger Beitrag für Netzstabilität, Stromkosten und Klimaschutz“, twittert der FDP-Chef. „Der Vorschlag findet daher die volle Unterstützung der Freien Demokraten.“

FDP-Mann Djir-Sarai hatte es am Montag sogar als so etwas wie ein „Markenzeichen“ der Ampel bezeichnet „am Ende des Tages“ zu Lösungen zu kommen. Eine gewagte Interpretation: Die Lähmung der Ampel wird zur Stärke umgedeutet.