Die Grünen schieben Ampelfrust

Zu wenig Klimaschutz? Grüne klagen hinter vorgehaltener Hand über schleppende Fortschritte bei den Ampelverhandlungen – und die „strukturkonservative SPD“. Der strenge Zeitplan für das Bündnis wackelt

Druck von der Straße: Demonstration in Lützerath für den Erhalt der Dörfer und den baldigen Kohleausstieg Foto: Martin Schroeder/Chromorange/imago

Aus Berlin Ulrich Schulte

Vor gut drei Wochen herrschte bei den Grünen noch freudiger Überschwang. Als er seine Partei bei einem Länderrat aufs Regieren einstimmte, versprach Grünen-Chef Robert Habeck, dass es eine „Fortschrittsregierung“ geben werde. „Wir sind in einer Hoffnungszeit angekommen.“ Ein sehr große Mehrheit der Delegierten stimmte für die Verhandlungen mit SPD und FDP, nur zwei waren dagegen.

Inzwischen ist Ernüchterung eingekehrt bei den Grünen. Die Stimmung sei „mäßig“, heißt es. Es gebe „einigen Frust“, weil die Ampelverhandlungen an vielen Stellen stockend oder schleppend verlaufen. Grünen-VerhandlerInnen beschweren sich über die „strukturkonservative SPD“. Vor allem bei ökologischen Anliegen heiße es oft, „SPD und FDP verbünden sich gegen die Grünen“.

Nun sind Konflikte bei einer Regierungsbildung der Normalfall – und keineswegs außergewöhnlich. Aber beim Ampelfrust der Grünen geht es um mehr als um eine atmosphärische Verstimmung, nämlich um die Frage: Schafft es die Regierung, eine realitätstaugliche 1,5-Grad-Politik umzusetzen? Klar ist: Der strenge Zeitplan wackelt. Im Moment ist offen, ob die 22 Arbeitsgruppen wie verabredet bis Mittwoch, 18 Uhr ihre Ergebnispapiere vorlegen können. „Das Ergebnis zählt und nicht das Datum“, sagt Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt.

Es gibt bereits einzelne grüne Stimmen, die offen mit Abbruch der Verhandlungen drohen. „Ich glaube, dass sich alle Seiten noch mal klarmachen müssen: Wenn wir in den nächsten Tagen beim Klimaschutz nicht zusammenkommen, drohen Neuwahlen“, sagte Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann der Süddeutschen Zeitung.

Die Habeck-Baerbock-Grünen stecken in einer Zwangslage. Vor der Wahl hatten sie bei ihren WählerInnen riesige Erwartungen geweckt. Es sei „die große Jahrhundertaufgabe“, die Klimakrise in den Griff zu kriegen, hatte Habeck betont. Und: Die Grünen wollten das „größte Klimaschutzpaket beschließen, dass es jemals in diesem Land gegeben hat“. Die Einhaltung des 1,5-Grad-Pfades war die einzige harte Bedingung, die führende Grüne für eine Regierungsbeteiligung formuliert hatten.

Nun zeigt sich, dass sich zwar alle drei Parteien in der Theorie zum Pariser Klimaschutzziel bekennen – aber der Ehrgeiz im Detail sehr unterschiedlich ist. Gewollt sei von SPD und FDP eine klare Arbeitsteilung, erzählt ein grüner Stratege. „Ob beim Verkehr, beim Wohnungsbau oder anderswo, wir sind überall dafür zuständig, für Ökologie und Klimaschutz zu kämpfen. Und Erfolge sollen wir an anderer Stelle bezahlen.“ Scholz habe zwar „Klimakanzler“ auf Wahlplakate gedruckt, aber er sei nicht bereit, dies in der Realität einzulösen. Der Sozialdemokrat habe vor allem seine Wiederwahl 2025 im Kopf und wolle nicht mit ambitionierter Politik anecken. Motto: Merkel reloaded.

Wenn das stimmt, müssten die 14,8-Prozent-Grünen ihr politisches Kapital komplett für Klimaschutz einsetzen – und das Ergebnis dürfte am Ende trotzdem nicht ausreichen. Dass sich Grüne im Moment über fehlende Fortschritte beklagen, ist zum Teil auch Erwartungsmanagement. Sie wollen dem Eindruck vorbeugen, nicht hart genug gekämpft zu haben. Bei der SPD äußert man sich nicht zu den Klagen. „Kein Kommentar“, richtet etwa ein Sprecher für Matthias Miersch aus, den SPD-Chefverhandler der AG „Klima, Energie, Transformation“.

Aus grüner Sicht hakt es an mehreren, relevanten Stellen. Ein Beispiel sind die Finanzen. Die Grünen wollen im verabredeten Rahmen – Schuldenbremse bleibt, keine Steuererhöhungen – alle Spielräume nutzen, um mehr Investitionen zu ermöglichen, und sie dachten, dies sei auch so mit allen Beteiligten vereinbart. Das Problem ist nur: FDP-Chef Christian Lindner erklärte kurz nach Veröffentlichung des Sondierungspapiers zwei Wege, die sie im Kopf hatten, für Unfug.

Schattenhaushalte, worunter auch Kredite über öffentliche Unternehmen fallen könnten? Nannte Lindner bei Maybrit Illner vor einem Millionenpublikum „undemokratisch“. Im Jahr 2022, bei der wegen Corona noch ausgesetzten Schuldenbremse, Kredite für die Transformation aufnehmen? „Nicht seriös.“ Entscheidende Grüne sahen dem Mann, der Finanzminister werden will, fassungslos zu. Ein Kompromiss? Schwierig.

„Wenn wir nicht zusammenkommen, drohen Neuwahlen“

Winfried Hermann, Verkehrsminister Baden-Württemberg

Auch beim Verkehr liegen die Vorstellungen weit auseinander. Die Grünen fühlen sich dabei nicht nur von der FDP ausgebremst, sondern auch von der SPD. Jene, heißt es, schaue dem Streit zwischen den Kleinen oft zu, ohne eigene Ambitionen erkennen zu lassen. Anderswo blockiere sie. So hat sich das neue Bündnis etwa darauf verständigt, 400.000 neue Wohnungen pro Jahr zu bauen. Die Grünen hätten gerne außerdem vereinbart, dass jene klimafreundlich gebaut sein müssten. Dies soll an der SPD gescheitert sein.

Hinzu kommen strategische Entscheidungen der Grünen-Spitze, die selbst von potenziellen Verbündeten als Fehler gesehen werden. Ein Beispiel: Im Sondierungspapier stehen Formulierungen, die das aktuell gültige Klimaschutzgesetz aufweichen. Dagegen protestierten vergangene Woche acht Umweltverbände von BUND über den WWF bis hin zu Greenpeace.

Die Grünen-Spitze räumte in einem Antwortschreiben ein, dass es gerade beim Klimaschutz und beim Biodiversitätsschutz in den Verhandlungen noch viel zu tun gebe. „Es wäre dafür sehr hilfreich – und in Teilen seid ihr ja bereits dran –, wenn Ihr darauf hinwirken könntet, dass SPD und FDP hier ambitionierte Vorschläge einbringen“, baten die Chefgrünen. „Wenn wir das weiter alleine tun müssen, erschwert das die Verhandlungen enorm.“

Der Brief war ein Hilferuf. Aber ist ein Ausstieg aus der Koalition eine Option? Für eine so staatstragende Partei wie die Grünen ist das schwer vorstellbar. Wahrscheinlicher ist, dass sie am Ende ein Ergebnis schönreden, das sie selbst für nicht ausreichend halten.