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Streit in Frankreichs WM-Team"Nicht mehr die Helden unserer Kinder"

Die französische Sportministerin fordert, dass die WM-Mannschaft sich wieder benimmt. Trainer Domenech befürchtet unterdessen, dass einzelne Spieler nun auch das Spiel gegen Südafrika boykottieren.

Unbeliebt unter Unbeliebten: Trainer Domenech steigt aus dem Flieger, erst nach einer Weile folgen die Spieler. Bild: reuters

PARIS/BLOEMFONTEIN dpa | Die Auflösungserscheinungen bei Vize-Weltmeister Frankreich sind zum Politikum geworden. Nach dem blamablen WM-Auftritt der "Equipe tricolore" auf und neben dem Rasen führte Sportministerin Roselyn Bachelot am Montag im Auftrag von Staatspräsident Nicolas Sarkozy ein Krisengespräch mit den Spielern und Trainer Raymond Domenech.

Danach griff sie die Mannschaft genauso wie andere Politiker scharf an. "Es ist ein moralisches Desaster für den französischen Fußball", sagte die 63 Jahre alte Politikerin in Bloemfontein. "Die Spieler haben das Image Frankreichs angekratzt. Sie können nicht länger die Helden unserer Kinder sein." Bachelot forderte die Profis in einer abgelesenen Stellungnahme dazu auf, "den guten Namen des französischen Teams wiederherzustellen".

Auch Nationaltrainer Raymond Domenech kritisierte sein Team hart. "Das war eine unbeschreibliche Dummheit", sagte er bei der Pressekonferenz vor dem letzten WM-Gruppenspiel gegen Südafrika über den Trainings-Boykott vom Vortag. Auf wen er in der Partie am Dienstag in Bloemfontein noch bauen werde und wer eventuell aus dem Team fliege, wollte der 58-Jährige nicht verraten.

Er schloss sogar nicht aus, dass der eine oder andere Spieler von sich aus nicht antreten wolle. Domenech stellte jedoch auch klar: "Die Mannschaft stelle nach wie vor ich auf." Die Franzosen können lediglich mit einem Sieg gegen Südafrika und Schützenhilfe von Mexiko oder Uruguay noch das Achtelfinale der WM erreichen.

Den ganzen Tag über waren die Auflösungserscheinungen beim Vize- Weltmeister das beherrschende Thema in der Heimat. "Die ganze Welt lacht uns aus, dieser Mummenschanz muss sofort aufhören", forderte Einwanderungsminister Eric Besson empört. Im Fernsehen war der Weltmeister-Trainer von 1998, Aimé Jacquet, den Tränen nahe. "Tiefer kann man nicht stürzen", klagte er. Das schlechte Image werde Frankreich über Jahre hinaus verfolgen. Ex-Nationalspieler Claude Makelele schimpfte: "Mein Gott. Man muss doch das Nationaltrikot respektieren!".

Jacquet hofft, dass die "Bleus" am Dienstag wenigstens noch um die Ehre kämpfen. Dass die Franzosen noch das "Wunder von Südafrika" schaffen und ins Achtelfinale einziehen könnten, daran glaubt niemand - bis auf Ex-Weltmeister Zinedine Zidane. "Auch wenn das viele zum Lachen bringen sollte: Ich hoffe, Frankreich noch im Finale zu sehen. Alles bleibt möglich", sagte er.

Das Verhältnis zwischen Domenech und seinem Team ist jedoch irreparabel zerstört. Bei der Ankunft der Mannschaft auf dem Flughafen in Bloemfontein ging der Trainer nach dem Verlassen der Maschine alleine vorweg. Die Spieler folgten ihm mit großem Abstand. Auch bei der Pressekonferenz am Abend wollte er niemanden neben sich sehen. "Die Leute erwarten jetzt keine Worte mehr von uns, sondern nur noch Taten", sagte Domenech. Die französischen Profis hatten zuvor ihren Trainings-"Streik" beendet und gingen still und zumeist mit hängenden Köpfen ihren Übungen nach.

Noch am Vortag hatten sie das Training verweigert, um gegen den WM-Ausschluss von Stürmer Nicolas Anelka zu protestieren. Der Chelsea-Profi hatte Domenech in der Pause des Mexiko-Spiels (0:2) übel beleidigt und musste vorzeitig die Heimreise nach London antreten. Der Trainer verteidigte diese Maßnahme des Verbandes am Montag in aller Deutlichkeit. "Kein professioneller Sportler hat das Recht, sich so zu verhalten. Das kann ich weder in der Umkleidekabine noch sonst wo akzeptieren", sagte Domenech. Die Spieler suchen nun nach dem "Maulwurf", der den Zwischenfall ausgeplaudert hatte. Auch Bayern-Profi Franck Ribéry und Joann Gourcuff sollen sich nach der Niederlage gegen Mexiko im Flugzeug geprügelt haben.

In der Heimat ließ eine Fast-Food-Kette sämtliche Werbeplakate mit Anelkas Konterfei von den Straßen entfernen. Zwei Teamsponsoren (Bank Crédit Agricole, Burger-Kette Quick) ließen die Ausstrahlung von TV- Werbespots mit französischen WM-Spielern stoppen. "So etwas habe ich noch nicht erlebt. Das ist erbärmlich und dramatisch", meinte der ehemalige Sportminister Jean-François Lamour über das Team.

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