Strategiedebatte in der CDU: Merkel setzt auf Banker-Bashing
Der Linksruck bei den Landtagswahlen beunruhigt die CDU-Wahlkämpfer. Als Reaktion rückt die Kanzlerin noch stärker Richtung Mitte und düpiert den Wirtschaftsflügel.
Unterschiedlicher können Wahlanalysen kaum sein. Der unvermeidliche Josef Schlarmann, letzter aufrechter Kanzlerinnenkritiker vom Wirtschaftsflügel der Partei, war auch nach dem CDU-Absturz im Saarland und in Thüringen zur Stelle. "Frau Merkel sollte die letzten vier Wochen bis zur Wahl mit einem klaren Wachstums- und Beschäftigungskonzept bestreiten", sagte er in einem Zeitungsinterview. Soll heißen: mit einem wirtschaftsfreundlicheren Profil.
Die Parteichefin zog am Montagmorgen in Präsidium und Vorstand den genau gegenteiligen Schluss aus den Wahlergebnissen. Sie wolle im Wahlkampf weiter "die Frage der Gerechtigkeit" betonen. "Das Thema Bonuszahlungen muss bei uns auf der Tagesordnung bleiben", sagte Merkel, der zuletzt anlässlich eines gemeinsamen Abendessens im Kanzleramt zu große Nähe zu Bankmanager Josef Ackermann vorgeworfen wurde. "Das beschäftigt uns. Bestimmte Erscheinungen sind nicht zu verstehen."
Alarmiert war Merkel nicht zuletzt durch die Zahlen zur Wählerwanderung. Nach der Analyse des Instituts Infratest dimap hat die CDU im Saarland 10.000 Stimmen an die Linkspartei verloren, praktisch genauso viele wie an die FDP.
Einen Lagerwahlkampf gemeinsam mit dem designierten Wunschpartner FDP lehnt die Kanzlerin daher weiter ab. "Ich werde nicht in Lagern denken, sondern um die Menschen werben", sagte sie. "Deshalb werde ich auch nicht aggressiver werden." Auch sonst gebe es keinerlei Grund, die Wahlkampfplanung zu überdenken: "Es ist klar, dass wir an der Strategie überhaupt nichts zu ändern haben."
Auf diese Linie waren auch die Ministerpräsidenten eingeschworen, die am Sonntag nicht zur Wahl gestanden hatten. "Ich glaube nicht, dass die Leute einen aggressiven Wahlkampf wollen", sagte der nordrhein-westfälische Regierungschef Jürgen Rüttgers, dessen Landesverband am Wochenende wichtige Bürgermeisterposten verloren hatte. Ähnlich äußerten sich vor den Gremiensitzungen die Kollegen aus Hessen und Niedersachsen, Roland Koch und Christian Wulff. Wahlsieger Tillich assistierte. "Es hat sich als richtig erwiesen, nicht die Konfrontation zu suchen", sagte er.
Das Wort vom "Licht und Schatten" dieser Landtagswahlen, das die Parteispitze noch am Sonntagabend ausgegeben hatte, ließ sich an diesem Montag im Berliner Konrad-Adenauer-Haus ganz bildlich überprüfen. Strahlend stand der sächsische Wahlsieger Stanislaw Tillich neben der Kanzlerin. Die beiden Verlierer waren dagegen an den Außenseiten platziert. Peter Müller aus dem Saarland, der seinen Abstieg mit Fassung trug, immerhin noch direkt neben Merkel; der unglückliche Dieter Althaus dagegen am äußeren Rand - von der Parteichefin durch Tillich abgeschirmt, auf dass Merkel keine Fotos in trauter Zweisamkeit mit dem Thüringer gewärtigen muss.
Im Saarland ruht Müllers letzte Hoffnung noch darauf, die Grünen zu einem Dreierbündnis unter Einschluss der FDP bewegen zu können. In Thüringen hingegen scheint klar zu sein, dass die CDU selbst in einer großen Koalition nur ohne Althaus an der Regierung bleiben kann - eine Option, die Merkel und Althaus am Montag keineswegs ausschlossen. "Das ist nicht die Frage, die zur Debatte steht", sagte Merkel dazu nur.
"Unser Ziel bleibt eine stabile Mehrheit unter meiner Führung", erklärte Althaus. Ein Ziel muss man aber nicht zwangsläufig erreichen. Zumal der Ministerpräsident mit monotoner Stimme im Stil des späten Erich Honecker seine Erfolge für das Land herunterbetete und dabei nicht den Eindruck erweckte, als sei er zu weiteren vier Jahren kraftvollen Regierens ernsthaft in der Lage.
Ebenso wie Müller dürfte es Althaus inzwischen bereuen, den Termin der Landtagswahl von der Bundestagswahl getrennt zu haben. Beide Politiker hatten darauf gesetzt, die eigene Popularität ausspielen und sich von einem möglichen Merkel-Malus am 27. September absetzen zu können. Der Effekt hat sich nun ins Gegenteil verkehrt, nur Tillichs Resultat lag deutlich über den Bundestagsergebnissen in seinem Land. Auch die Hoffnung, die SPD werde sich vier Wochen vor der Bundestagswahl neuerlich über Rot-Rot zerstreiten, scheint nicht aufzugehen.
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