: Strategie der Normalität
■ Friedlicher Sonntagsspaziergang an der Startbahn / Die Polizei gab sich bürgernah und die Atonomen unvermummt / Angst bestimmte die Atmosphäre auf beiden Seiten
Aus Frankfurt Ralf Volk
„Normal“ sollte es vorgestern abend an der Startbahn West des Rhein–Main–Flughafens zugehen, wenige Tage nach den tödlichen Schüssen auf die beiden Polizisten. Am Sonntag abend flogen weder Steine noch Mollis. Die Rohre des Wasserwerfers blieben trocken und das Gefährt setzte sich nur einmal in Bewegung - beim Schichtwechsel. Rund 150 Leute waren wie jeden Sonntag an die Mauer gekommen. Die Bürgerinitiativen hatten ausdrücklich nicht zum üblichen Sonntagsspaziergang aufgerufen. Sie erklärten aber, „daß es nicht verhindert werden kann, wenn die Leute in den Wald gehen“. Was die SpaziergängerInnen dann vorfanden, waren Polizisten, die sich ohne Helm und in kleinen Gruppen unter die Leute mischten, weiter hin ein offenes Tor und freien Durchgang auf das Startbahngelände. Zudem war alles an Prominenz anwesend, was die Polizei zu bieten hatte: Innenminister Gottfried Milde (CDU), Polizeipräsident Gemmer und eine Reihe von Polizeipsychologen, die „sich um die aufgebrachten BürgerInnen kümmern“ sollten. Gesprächsbereitschaft war angesagt. Noch am letzten Freitag war bei der Frankfurter Polizei heiß umstritten, wie in Zukunft auf die Sonntagsspaziergänge zu reagieren sei. Polizeipsychologen haben dann die „Strategie der Bürgernähe“ ausgetüftelt. Der sogenannte „schwarze Block“ wartete an diesem Tag mit rund 70 Leuten auf. Um ihre friedliche Absicht zu unterstreichen, ließen sich auch diese SpaziergängerInnen anstandslos von der Polizei durchsuchen, bevor sie sich in den Wald aufmachten. Vermummt war zur allgemeinen Freude der Polizei niemand. Vor dem offenen Startbahntor trafen sich unterdessen Prominenz, Polizei und StartbahngegnerInnen zum Gespräch, das aber meist in der gegenseitigen Aufrechnerei von Gewalt steckenblieb. Empörung riefen allerdings die Worte von Innenminister Milde hervor, es ginge nicht an, „daß Polizisten von Bürgern unflätig beschimpft“ würden. Dies sei „die erste Stufe zu dem, was am vergangenen Montag geschehen ist“. Eine Sprecherin der Bürgerinitiativen wies dagegen auf die „Übergriffe durch Polizeibeamte“ hin. Solche Konflikte entstünden „vor allem dort, wo der Bevölkerung Projekte wie die Startbahn West nicht als sinnvoll verkauft werden können“. Angst beherrschte die Atmosphäre auf beiden Seiten. Diese Angst habe schon lange die Auseinandersetzung an der Startbahn bestimmt, erzählt eine Frau einer Gruppe von Polizisten. Sie erinnert sich an eine Situation, in der ein Polizist „aus Angst die Knarre gezogen hat, als jemand neben ihm in die Essenstüte griff“. Eine Gruppe von Autonomen sprach in einem Flugblatt unter dem Eindruck der zahlreichen Hausdurchsuchungen in der vergangenen Woche von einer „Pogromstimmung gegen Autonome“. „Eine militante Gegenwehr“ halten sie weiterhin für sinnvoll, wobei aber „die Anwendung von Schußwaffen in solchen Situationen undenkbar“ sei. Auch einige Polizisten hielten mit ihren Vorstellungen nicht hinter dem Berg: Neue Distanzwaffen seien „sicherlich eine bessere Lösung als dieses Vermummungsverbot“.
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