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Strafverfahren gegen Zeugen

■ Gericht glaubt Expolizisten nicht, der seine Kollegin belastete. Richter: Attacke durch Frau war nicht vorgetäuscht

„Ich kann keinem Mandanten raten, Polizisten anzuzeigen.“ Zu diesem Schluß kam gestern Anwalt Dirk Lammer, der die Angeklagte Angelina B. in der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht vertrat. Sie war im letzten Jahr zu einer Geldstrafe von 2.600 Mark verurteilt worden. Die 38jährige soll 1993, als sie mit ihrem tunesischen Ehemann und ihrem Kind auf dem Bahnhof Zoo war, die Polizistin Anja R. gewürgt und beleidigt haben (die taz berichtete). Gestern wurde die Berufung verworfen.

Der Vorsitzende Richter der 66. Strafkammer schenkte den entlastenden Zeugenaussagen des Polizisten Christian D. keinen Glauben. Dieser hatte für Aufmerksamkeit durch die spätere Aussage gesorgt, daß die Mißhandlung, wegen der Angelina B. vor Gericht stand, erfunden wäre: Seine Kollegin habe nämlich vergebens von ihm verlangt, ihr Würgemale als Beweis für die angeblich erlittenen Verletzungen beizubringen. Außerdem hatte er ausgesagt, daß Kollegin Anja R. ihn nach dem erstinstanzlichen Urteil in Anwesenheit von zwei Kollegen bedroht hätte: „Junge, sei vorsichtig, was du sagst. Du hast dich fast verplappert.“

Diesen Aussagen von Christian D., die die Angeklagte entlasteten, glaubte das Gericht allerdings nicht. Richter Schulz sagte in der Begründung, daß er die Erklärung für den Sinneswandel bei der Aussage von Christian D. für „nicht plausibel“ halte. Der ehemalige Polizist hatte diesen damit begründet, daß er so viel Zeit gebraucht habe, um sich von dem „großen Gruppendruck“ frei zu machen. Davon könne keine Rede sein, sagte Richter Schulz, weil Christian D. bereits kurz nach dem Vorfall nach Niedersachsen in den Justizvollzugsdienst gewechselt war. Seine Behauptung, daß seine Kollegin ihn gebeten haben soll, ihr Würgemale beizubringen, wies er als unglaubhaft zurück. Das wäre „grenzenlos dumm“ von der Beamtin gewesen. Den 24jährigen Christian D. erwartet nun ein Strafverfahren wegen Falschaussage.

Die Angeklagte hatte Tränen in den Augen, als der Richter das Urteil begründete. „Ich habe die Wahrheit gesagt“, schluchzte Angelina B., die Revision einlegen wird. Ihr Mann habe die Polizistin nur aus Versehen angerempelt. Seine Entschuldigung sei mit den Worten „Scheißausländer“ und dem Verlangen nach dem Paß beantwortet worden. Erst nach ausländerfeindlichen Äußerungen der Polizistin habe sie sich zu einer abfälligen Bemerkung hinreißen lassen. Zu einer Körperverletzung sei es nie gekommen. Die Polizistin hatte gesagt, daß sie sich nur mit Mühe gegen einem Würgegriff der Angeklagten habe wehren können. Ein Arzt hatte kurz nach dem Vorfall keinerlei Würgemale bei der Polizistin, die 1994 wegen einer Körperverletzung im Amt verurteilt wurde, festgestellt. Lammer kritisierte, daß das Gericht dem Zeugen, „der aus der Einheitsfront ausschied“, keinerlei Glauben schenkte. Barbara Bollwahn

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