Strafprozess: Der Mann, der die Hendl liebte
Ein Lebensmittelprüfer muss sich in Bremen vor Gericht verantworten: Mitunter nahmen seine Kontrollen den Zug eines bargeldlosen Einkaufsbummels an. Und dienstags und donnerstags gabs Hähnchen beim türkischen Grill-Imbiss.
Manchen reicht schon ein Zipfel Macht, um daran zu scheitern und sich und vor allem andere ins Unglück zu reißen. Peer Sch. war früher Schäfer, hat dann umgelernt auf Lebensmittelkontrolleur. Das ist er seit 2008 auch nicht mehr, "keine Angaben" macht er zu dem, was er heute tut. Aber wenn du dir seinen Lebensstandard bis dahin anschaust, verheiratet, zwei Kinder, ein hübsches Haus im Grünen, und ein nigelnagelneuer Wagen der unteren Bonzenklasse, natürlich metallic, dann denkst du: Ui, das muss ein ganz schön lukrativer Job sein, Lebensmittelprüfer. Oder eben - naja: Dieser Herr Sch. steht seit Mittwoch in Bremen vor Gericht.
Bestechlichkeit, Vorteilsnahme im Amt und so weiter lauten die Vorwürfe, das ließe sich jederzeit juristisch noch ausdifferenzieren, und die Deliktzahl ist groß: Insgesamt 24 Punkte führt die Anklageschrift auf, aber wahrscheinlich fällt die Wassermelone vom netten türkischen Gemüsehändler untern Tisch, so dass es nur noch 23 Fälle sind, begangen und oft fortgesetzt über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren, so sieht es die Staatsanwaltschaft. Plus einen Versuch, bei dem er einfach zu dreist gewesen ist: Im Januar 2008 wollte er ausgerechnet den Chef einer Großbäckerei mit 31 Filialen in der Stadt dazu bringen, ihm ein Vogelhaus abzukaufen, gebastelt von Sch.s Tochter, sicher auch liebevoll verleimt, aber zu einem dann doch stolzen Preis: 140 Euro habe er dafür verlangt und, natürlich, im Gegenzug, angeboten, die Kontrollen Kontrollen sein zu lassen. Der Bäcker fand das keinen attraktiven Deal - und erstattete Anzeige. Von da an wurde Peer Sch. observiert, von Beamten in Zivil, und erstaunliches hielten die per Kamera fest. Zum Beispiel ein weiteres Vogelhäuschen.
Die Verteidigung sieht das ganz anders, naturgemäß: Erst beantragen Marco Lund und Arif Kaya, dass die Anklageschrift gar nicht zu verlesen sei, worüber dann, erstaunlicherweise, gar nicht in öffentlicher Sitzung entschieden wird. Dann versucht man im Rechtsgespräch einen Deal auszuhandeln. Aber da scheinen die Vorstellungen doch arg weit auseinander zu klaffen: "Wir", sagt die Vorsitzende Richterin Ellen Best nach einer guten Stunde Diskussion, "halten es für wichtig, in diesem Fall in eine Beweisaufnahme einzusteigen". Vor allem Rechtsanwalt Lund gibt sich im Folgenden aggressiv. Mitunter scheint es fast, als wolle er ZeugInnen einschüchtern, und die Strategie heißt Freispruch. "Betroffen" sei sein Mandant von den Vorwürfen, liest Lund eine Erklärung vor, dass er aus einem Supermarkt Eis und Hähnchen und Eierlikör und Grillkohle abgeschleppt hat, wäre derzufolge sogar ein Akt der Hilfsbereitschaft, die hätten entsorgt werden müssen, und das hat der Herr Sch. halt dann übernommen.
Hätte sie das gewusst, dann hätte die Marktleiterin ja ein gutes Argument gehabt gegen ihre Entlassung und natürlich auch gegen den Strafbefehl. Aber sie hat das Gebaren des Kontrolleurs ganz offenkundig falsch gedeutet. Was nur den Schluss zuließe, dass der gedrungene Mann mit dem Minischnäuzer und den Pausbäckchen, der da von der Anklagebank mit munteren kleinen Äuglein das Geschehen verfolgt, das Opfer einer höchst heterogenen Verschwörung ist: Einzelhändler, Verkäufer, Türken, Deutsche, Filialleiterinnen, Selbstständige - die Liste der Zeugen ist lang und einige haben ihre Aussagebereitschaft mit einem Strafbefehl bezahlt.
Auch die Sache mit dem Vogelhäuschen - das war, laut Verteidigung, ein bloßes Missverständnis und ist ganz anders gelaufen: Der Bäcker wars, der habe sich danach erkundigt, wo man das denn wohl herbekommen kann, und weil der Herr Sch. so ein hilfsbereiter Mensch ist …
Ein Vogelhäuschen, das ist ein pittoreskes Detail, gerade, wenn es in einer Kriminalgeschichte wieder kehrt: Ein vietnamesischer Restaurantbesitzer hat auch eins bekommen, zum Preis von 100 Euro. Er gabs aber, beim nächsten Besuch, wieder zurück. Weil er nicht wusste, was mit dem Teil anfangen, so heißt es. Es ruht jetzt in der Bremer Asservatenkammer, vielleicht wird es am zweiten Verhandlungstag auch in Augenschein genommen, aber weder der Bäcker noch der Gastronom wurden am ersten Verhandlungstag gehört, und das ist gut.
Denn Geschichte ist so witzig nicht. Nicht wenigstens in einer Zeit, in der Angestellte für geringeres als ein geklautes Brötchen gefeuert werden und die kleinen Krauter mit ihren Imbissbuden und Brutzelständen Tag für Tag um die Existenz kämpfen.
Wie der Zeuge Osman Ö. Den hat der Lebensmittelkontrolleur Peer Sch. zweimal wöchentlich besucht. Immer dienstags und donnerstags machte er an seinem Grillstand auf dem Supermarkt-Parkplatz halt. Die Vorsitzende Richterin will wissen, ob es sich jeweils um ein halbes oder ganzes Hendl gehandelt habe, was er da als Gefälligkeitsgabe einsackte. "Ganz", sagt Ö., "aber ich schneide durch".
Osman Ö. lebt seit 1975 in Deutschland, aber die Sprache hat er nie gelernt - lernen können: Er hat immer malocht. Erst bei der AG Weser, bis zur Pleite 1982, dann im Putzdienst, bis der einen Großauftrag verlor, kurze Arbeitslosigkeit, im nächsten Putzdienst lernte er einen Landsmann kennen, der ihm zum 1. September 2007 seinen Grillstand verkaufte. Das meiste muss ein Übersetzer wiederholen, die ganze Vorgeschichte, manchmal sind Eigennamen zu verstehen, hier und da ein Datum. Ö. habe nicht gewusst, wie das sei, selbstständig zu sein. Der Freund, der ihm den Hähnchenwagen verkauft hat, habe ihn eingeführt: Da kommt immer mal wieder das Gesundheitsamt, hat er ihm erklärt. Und "jedes Mal, wenn er kommt, gib ihm ein Hähnchen". Von September bis Januar, das sind gut 16 Wochen, macht 32 Hähnchen.
Osman Ö.s Mitschuld ist schon gesühnt, doch die Verteidiger versuchen, seine Glaubwürdigkeit zu erschüttern, schließlich hat er in der polizeilichen Vernehmung ein paar Sachen anders angegeben, etwa die mit der Prüfung: "Sie haben da doch gesagt", hält Anwalt Kaya ihm vor, "im September fand eine Kontrolle statt". Ja, ja, das stimme schon, "was ich der Polizei gesagt habe, stimmt", sagt Ö., nur das war im Januar 2008. Inzwischen waren andere Prüfer da, und Osman Ö. hat neue Erfahrungen gemacht. Dass Peer Sch. bei seinem ersten Besuch seinen Ausweis gezeigt hat, das stimmt. Der Anwalt insistiert, und Ö. verzweifelt zusehend, weil, sagt er, "das kann man doch nicht Kontrolle nennen".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz