: Stimmen überm Durst
Antje Radcke als grüne Parteichefin in Hamburg deutlich bestätigt. Linker Flügel dennoch abgestraft: Radcke-Vorgängerin fiel als Beisitzerin viermal gegen Realos durch
HAMBURG taz ■ So richtig gebangt hatte sie nicht, aber erleichtert war sie hinterher schon. Mit 97 von 137 Stimmen war Antje Radcke gerade zur Vorstandssprecherin der Hamburger Grün-Alternativen Liste (GAL) gewählt worden. Damit hatte die nach Hamburg zurückgekehrte frühere Parteisprecherin der Bundesgrünen auf der Landesmitgliederversammlung am Sonnabend unerwartet ein besseres Ergebnis erzielt als ihr Co-Sprecher, der 51-jährige Lehrer Kurt Edler. Der Hardcore-Realo und Intimus von Bürgermeisterin Krista Sager musste sich mit 93 Stimmen bescheiden.
Es sei „sehr angenehm, mehr als nur eine Stimme überm Durst bekommen zu haben“, kommentierte die 40-jährige Parteilinke ihre Wiederwahl nach exakt drei Monaten. Am 9. September hatte Radcke sich mit nur einer Stimme Vorsprung gegen ihre Gegenkandidatin Heike Opitz von der Grünen Jugend durchgesetzt. Wegen Unregelmäßigkeiten bei der Stimmenauszählung war dieses Ergebnis vom grünen Nachwuchs und führenden Realos angefochten worden.
Nach monatelangen Querelen, Flügelrauschen und ergebnislosen Schiedsgerichtsverfahren, welche die Arbeit des siebenköpfigen Parteivorstandes zunehmend lähmte, hatte die GAL sich schließlich zur politischen Lösung der verworrenen Situation durchgerungen: Erstmalige Erarbeitung einer Wahlordnung und Neuwahl des gesamten Vorstandes nach einem transparenten und allseits akzeptierten Wahlverfahren.
Das von Radcke und Edler daraufhin verkündete „Ende der Flügelkämpfe“ allerdings blieb aus. Leid Tragende war die 38-jährige Lehrerin Kordula Leites. Radckes Vorgängerin als linke Parteichefin fiel bei vier Kandidaturen für Beisitzerposten im Vorstand mit jeweils etwa 40 Prozent viermal gegen Realo-VertreterInnen durch.
Vergebens hatte linke Parteiprominenz, allen voran Umweltsenator Alexander Porschke, Leites' Wahl unter Berufung auf „Minderheitenschutz für Linke in der GAL“ eingeklagt. Mit Radcke und dem wiedergewählten Schatzmeister Carsten Kuhlmann sei „die Linke doch ausreichend vertreten“ im siebenköpfigen Vorstand, konterten führende Realos und stimmten ihre Leute durch. „Wir haben alte Zöpfe abgeschnitten“, frohlockte anschließend Edler.
Wie die GAL die neuen Zeiten angehen will, wird sie sehr schnell klären müssen. Am 23. September 2001 wird in Hamburg die Bürgerschaft neu gewählt werden. SVEN-MICHAEL VEIT
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen