: „Steuern zu senken ist eine Wette“
Die von Rot-Grün geplante Reduzierung der Unternehmensteuer schafft weder spürbares Wachstum noch zusätzliche Arbeitsplätze, sagt der Berliner Wirtschaftsprofessor Giacomo Corneo. „Der Effekt wäre ein Loch in den staatlichen Haushalten“
INTERVIEW HANNES KOCH
Die Steuern für Unternehmen sollen sinken. Das plant die rot-grüne Regierung im Einklang mit der Opposition. Sie halten das für falsch. Warum?
Giacomo Corneo: Weil das Wachstum dadurch kaum zunimmt. In diese Richtung deuten viele theoretische und empirische Studien. So hat der in Chicago lehrende Ökonom und Nobelpreisträger Robert Lucas berechnet, dass eine drastische Senkung aller Kapitalsteuern das Wirtschaftswachstum nur um 0,03 Prozent eines Prozentpunktes erhöht.
Ohne zusätzliches Wachstum ist auch nicht mit neuen Arbeitsplätzen zu rechnen, oder?
Auch dieser Effekt wird wahrscheinlich sehr gering ausfallen.
Eine Steuersenkung erhöht den potenziellen Gewinn der Firmen. Warum investieren sie dann nicht zusätzlich?
Wenn ein Investor überlegt, eine Fabrik zu bauen, vergleicht er die zu erwartende Rendite mit dem Gewinn, den er durch andere Kapitalanlagen erzielt. Die Fabrik baut er nur, wenn die Rendite höher ist als die eines Finanzinvestments in Wertpapiere, Aktien o. Ä. Die Senkung der Körperschaftsteuer erhöht jedoch die Rendite beider Investitionsarten gleichermaßen – es gibt keinen Vorteil für Realinvestitionen.
Müsste die Bundesregierung dann nicht Finanzinvestitionen höher besteuern als Sachinvestitionen?
Das wäre möglicherweise ein Mittel, um tatsächlich mehr Wachstum zu erzielen.
Die Bundesregierung argumentiert, die Steuersätze etwa in Österreich seien niedriger als hier. Aus diesem Grund müsse der Steuersatz nun auch in Deutschland sinken.
Der Steuerwettbewerb zwischen den Staaten ist in der Tat ein Problem. Es ist aber sehr ungewiss, ob die Senkung hierzulande mehr Direktinvestitionen bewirken kann.
Warum?
Im Gegenzug könnten die Nachbarstaaten ihre Steuern weiter senken, sodass der deutsche Vorteil wieder aufgezehrt wird. Der einzige Effekt wäre dann ein größeres Loch in den staatlichen Haushalten.
Die SPD geht davon aus, dass etwa die Hälfte der Einnahmeausfälle kompensiert wird. Die Hoffnung: Niedrigere Steuersätze stellen einen Anreiz für Unternehmen dar, mehr Gewinn im Inland zu versteuern.
Das ist sehr spekulativ. Sollten andere Staaten mit schärferem Steuerwettbewerb reagieren, würde der Selbstfinanzierungseffekt verpuffen. Es ist eine Wette, die für den öffentlichen Haushalt relativ riskant ist.
Mit Ihrer Argumentation sind Sie in der deutschen Wirtschaftswissenschaft in der Minderheit. Die Mehrheit hält die Senkung der Firmensteuern für gut. Warum?
Auch ich halte die Körperschaftsteuer, so wie sie heute ist, für unvernünftig. Diese und die Gewerbesteuer sollte man gänzlich abschaffen und durch eine freiwilligen Beitrag der Unternehmen von 25 Prozent ihres Gewinns ersetzen.
Welche Vorteile hätte die Abschaffung der Steuerpflicht?
Hunderttausende von Spezialisten – Steuerberatern, Finanzbeamten, Wirtschaftsrichtern – würden überflüssig. Diese hochwertige Arbeitskraft und das Geld, das sie bezahlt, könnte man mittelfristig in Innovation und Wachstum umleiten.
Warum sollten die Firmen Steuern zahlen, wenn der Staat die freiwillige Zahlung nicht kontrolliert?
Das sollte er tun, aber anders. Die Unternehmen müssten ihre Zahlung veröffentlichen. Dadurch wäre eine effektive Kontrolle durch die Bürger gewährleistet.
Sie beziehen sich auf den Chicagoer Ökonomen Lucas. Fühlen Sie sich der neoklassischen Theorie zugehörig, die auch als die „neoliberale“ bezeichnet wird?
Grundsätzlich definiere ich mich als Neoklassiker.
Mit dem Keynesianismus haben Sie nichts zu tun?
Argumente des Keynesianismus sollten für die Konjunkturpolitik eine Rolle spielen – gerade in der Situation, in der sich Deutschland heute befindet. Die Binnennachfrage der Konsumenten ist eindeutig zu schwach. Und an diesem Punkt hilft eine Steuersenkung für Unternehmen nicht weiter.