: Steuerkater bei den Genossen
■ Die beiden von der SPD mitregierten Länder Brandenburg und Berlin verhalfen der Regierungskoalition gestern im Bundesrat zu einer Mehrheit für das seit Monaten umstrittene Steuerpaket. Daß die ...
Steuerkater bei den Genossen Die beiden von der SPD mitregierten Länder Brandenburg und Berlin verhalfen der Regierungskoalition gestern im Bundesrat zu einer Mehrheit für das seit Monaten umstrittene Steuerpaket. Daß die Länderinteressen über die Parteiräson siegten, sorgte bei der SPD-Spitze in Bonn für betretene Gesichter
Wegen der Not im Land Brandenburg stimmt das Land beiden Gesetzen zu.“ Als der brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe seine Rede vor dem Bundesrat mit diesen Worten abschloß, war niemand mehr überrascht. Das sozialdemokratisch geführte Land war aus der Oppositionsfront gegen das Steuerpaket von Finanzminister Waigel ausgeschert. Als Oskar Lafontaine, Verhandlungsführer der SPD-Länder in den Vermittlungsgesprächen, gestern als erster ans Rednerpult des Bundesrats ging, stand fest, daß die sozialdemokratische Bundesratsmehrheit gespalten und Waigel das Ja des Bundesrats geschafft hatte, ohne einen Kompromiß mit der Opposition eingehen zu müssen.
Bis in die späten Abendstunden des Vortags hatte Waigel um die Stimmen von Brandenburg und Berlin geworben, verhandelt und gefeilscht. Wer wen eigentlich wann getroffen hat und was dabei vereinbart wurde, war denn auch das mangels sicheren Wissens erstrangige Spekulationsthema zu Beginn der Sitzung. Zwar war bekannt, daß Brandenburg zustimmen würde. Aber wieviel würde Theo Waigel auf sein Paket drauflegen? Offenbar wußte SPD-Chef Björn Engholm zum Zeitpunkt seiner Rede noch nicht ganz präzise, was Parteifreund Stolpe und Finanzminister Waigel verabredet hatten.
Theo Waigel, der zunächst in aller Ruhe die Ablehnungsreden von Oskar Lafontaine (kämpferisch) und Björn Engholm (moderat) über sich ergehen ließ, begann mit der stolzen Feststellung, daß sein Steuerpaket die Zustimmung aller östlichen Bundesländer gefunden habe. Dann erfuhr das Publikum, was Waigel für Brandenburg aufgestockt hatte: viel weniger, als alle Gerüchte vermutet hatten. Waigel verkündete als „Erklärung der Bundesregierung“ die unverbindliche Absicht, „innerhalb dieser Legislaturperiode“ Vorschläge zu machen, „inwieweit innerhalb des dualen Systems des Familienlastenausgleichs auch das Kindergeld weiter erhöht werden kann“. Mit anderen Worten: In einem der Hauptpunkte der sozialdemokratischen Kritik bleibt es bei Waigels Lösung. Dabei hatte es schon in den Dezember-Verhandlungen des Vermittlungsausschusses danach ausgesehen, als würde Waigel die Erhöhung des Erstkindergelds auf mehr als 70 Mark nicht ausschließen. Der zweite Punkt: Waigel wird die Überbrückungshilfe für die Länder, die Verluste einstecken müssen, weil das alte Strukturhilfegesetz zugunsten des Ostens aufgehoben wird, von 800 Millionen auf 1,5 Milliarden aufstocken — für die strukturschwachen Westländer ein Gewinn in Maßen. Schließlich als dritter Punkt: Die jetzt geltenden Finanzverteilungen zwischen Bund und Ländern sollen keine „präjustizielle Wirkung über das Jahr 1994 hinaus“ haben.
Das Steuerpaket, das Theo Waigel in der vergangenen Woche mit seiner Mehrheit im Vermittlungsausschuß nach vergeblichen Verhandlungen mit der SPD durchgesetzt hatte, bleibt also bis auf 700 Millionen Mark Plus für die strukturschwachen Länder unverändert. Nur in wenigen der Punkte, die die SPD für wesentlich erklärt hatte, ist Waigel im Laufe der mehrmonatigen Verhandlungen zwischen Bund und Ländern vom ursprünglichen Beschluß der Bundestagsmehrheit abgerückt: Im Bereich der Unternehmenssteuerreform ist die beabsichtigte Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer aufgegeben worden; die „Verstetigung“ des Fonds Deutsche Einheit ist unter dem Druck aller neuen Länder zustandegekommen, der Anteil der Bundesländer am Mehrwertsteueraufkommen steigt von 35 auf 37Prozent.
Die strittige Mehrwertsteuerhöhung indes, die Engholm, Lafontaine und Klose auch heute wieder in den Mittelpunkt rückten, stand nie ernsthaft in Frage. Als „Gift für die neuen Länder“ bezeichnete Lafontaine das von ihm befürchtete Abkippen der Konjunktur im Gefolge höherer Mehrwertsteuern; überzeugende Finanzierungsvorschläge blieb die SPD aber auch heute schuldig. Den noch letzte Woche vorgeschlagenen Transfer der Bundesbankgewinne Richtung Osten wiederholte heute kein Sozialdemokrat. Überhaupt: die Strategen wußten, daß sie verloren hatten. Und im ganzen blieb Waigel hart in der Grundrichtung: Das Geld geht in den Osten, auch um den Preis, das die armen Westländer am kräftigsten draufzahlen. Niedersachsen, das als strukturschwaches westliches Bundesland zu den Hauptverlierern des Steuerstreits zählt, strebt nun eine Verfassungsklage gegen das Steuerpaket an. Vorbehaltlich einer weiteren juristischen Prüfung sei die Landesregierung entschlossen, das Steueränderungsgesetz durch das Gericht in Karlsruhe auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen, erklärte gestern ein Sprecher der Staatskanzlei in Hannover. Als „einen verfassungswidrigen Eingriff in die Finanzhoheit der Länder“ bezeichnete der Regierungssprecher die Bestimmung, wonach der Länderanteil aus der Mehrwertsteuererhöhung allein zur Finanzierung des „Fonds Deutsche Einheit“ dienen soll. Auch das abrupte Ende der Strukturhilfe für die finanzschwachen westlichen Länder, die nach dem jetzigen Kompromiß mit einer einmaligen Zahlung von 1,5 Milliarden in diesem Jahr auslaufen soll, hält das Land Niedersachsen für verfassungswidrig. Da die Bundesregierung die Strukturhilfe bis zum Jahr 1998 zugesagt habe und die Gelder zur Fortsetzung begonnener Projekte fest eingeplant seien, verstoße das Ende der Zahlungen gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes.
Der Bundesrat, das SPD-Mehrheitsgremium, wurde am gestrigen Tage zum Forum der neuen Koalition von Ost-Bundesländern und dem Finanzminister, während die SPD am Rande stand. Der ohnehin ruhige Bundesrat hielt beinahe den Atem an, als Manfred Stolpe sein Ja begründete: „Brandenburg stimmt aus Vernunft dem zu, was hier verhandelt worden ist, weil schnell gehandelt werden muß... Ich konnte nicht mit einem Nein vor die Brandenburger gehen.“ Drastisch schilderte Stolpe die Situation des fortgesetzten Abbruchs von Betrieben, einer realen Arbeitslosigkeit von ungefähr 30 Prozent. „Kennen Sie wirklich die Lage im Osten?“ fragt Stolpe in die Bundesratsrunde. Daß Stolpes Parteifreunde im Westen sie womöglich nicht gut kennen, reizt nicht nur ein Unionsredner in dieser Debatte weidlich aus.
Die sozialdemokratische Ländermehrheit im Bundesrat ist auseinandergefallen. Sie taugte weder zur geschlossenen Opposition, erst recht nicht dazu, der Bundesregierung Kompromisse abzuhandeln. „Ich gönne es jedem, wenn er mit einem Erfolg nach Hause geht“, so Engholm zu Stolpe, „aber ich habe eine Bitte an Sie. Sie sollten nicht aus dem Auge verlieren, daß es auch im Westen Sorgen und Nöte gibt.“ Schon wahr. Nur hatte die SPD-Führung ihrerseits nicht im Auge, daß ein Land wie Brandenburg von Hilfe abhängig ist. Egal von wem, aber jetzt mußte sie kommen. T. Bruns, Bonn
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