: „Sterne jonglieren“
Am 5. April las der Ostberliner Schriftsteller Lutz Rathenow zum ersten Mal in Westberlin. Durch ein zehnjähriges Reiseverbot in westliche Länder wurden ihm bis zum November letzten Jahres auch alle Auftritte in Westberlin unmöglich gemacht. Dieser Umstand kam des öfteren in die Westpresse, da Rathenow versuchte, auf verschiedene Weise das Reiseverbot zu umgehen. So las er einmal per Telefon, schickte ein anderes Mal ein Band oder ließ Schriftsteller aus seinen Texten vortragen.
Für die erste Lesung wählte Rathenow bewußt einen literarisch traditionellen Ort aus: den Buchhändlerkeller, in dem K. P. Herrbach jede Woche prominente Autoren und solche, die ihr erstes Buch vorstellen wollen, zu vereinen weiß.
Rathenow stellte seine beiden neuen Gedichtbände Zärtlich kreist die Faust und Sterne jonglieren vor.
Er erklärte auf eine Anfrage, nach der Gastprofessur in Bamberg habe er vier Wochen an einem Filmporträt für die ARD gearbeitet. Dies solle im Mai gesendet werden. Auf zahlreichen Lesungen und einigen politischen Veranstaltungen trete er in der Bundesrepublik auf, bereite für April eine Lesereise nach Österreich und Südtirol vor. Spätestens im Juni wolle er zu prinzipiell kulturpolitischen Fagen Vorlesungen an der Jenaer Universität halten, eine Einladung liege vor.
Der Rundfunk der DDR wolle ein neues Hörspiel produzieren und ein 1981 verbotenes Kinderhörspiel senden. Auch mit DDR -Verlagen gäbe es intensive Kontakte - vor allem wolle er noch in diesem Jahr eine neue Ausgabe des Ostberlinbuches Die andere Seite einer Stadt herausbringen. Der Fotograf Harald Hauswald als Co-Autor des Buches würde dazu eine völlig neue Foto-Auswahl vornehmen. Rathenow selbst wolle den momentan in der Bundesrepublik als bibliophiles Taschenbuch vorliegenden Text nur leicht verändern, aber für die DDR-Ausgabe um ein weiteres Kapitel ergänzen. Der Ostberliner Schriftsteller erklärte, sein Terminplan sei für die nächsten Monate so voll, daß die Lesung im Buchhändlerkeller vorerst die einzige in Berlin sein werde.
MAULWURFSWEISHEIT
Wühlen,
wühlen, wühlen, wühlen
nur nicht nach der Sonne schielen.
ENTWICKLUNG
Eine Blume, süß duftend, steht auf der Wiese.
Eine Kuh, in Gedanken, ver schluckt im Nu diese.
Die Blume blüht unermüdlich wei ter im Bauch.
Die Kuh macht den Mund auf und duftet nun auch. (aus: Sterne jonglieren
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