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Steine und Kugeln gegen Rückkehrer

■ Mit Gewalt werden bosnische Flüchtlinge an einem Besuch ihrer Heimatorte gehindert. Ex-Ministerpräsident Bosniens erhebt schwere Vorwürfe gegen Ifor und warnt vor einem neuen Krieg

Sarajevo (AFP/dpa) – Der frühere bosnische Ministerpräsident Haris Silajdžić hat vor einem neuen Krieg in Bosnien gewarnt. Er kritisierte die internationale Friedenstruppe in Bosnien (Ifor) heftig wegen der Verhinderung bosnischer Massenbesuche auf serbisch kontrolliertem Gebiet. Bosnien könne in einen Krieg zurückfallen, falls die Ifor nicht den Flüchtlingen zu ihrem verbrieften Recht verhelfe, sagte Silajdžić am Dienstag.

Die Ifor verschärfte am Mittwoch ihren Ton gegenüber den bosnischen Serben und nannte die Verhinderung der Besuche eine „flagrante Verletzung“ des Dayton-Abkommens. Gleichzeitig nahm sie eine Untersuchung zu den Vorfällen bei Doboj vom vergangenen Montag auf. Etwa 75 muslimische Flüchtlinge hatten versucht, eine Ifor-Sperre zu umgehen, um in die Stadt Doboj auf serbisch kontrolliertem Gebiet vorzudringen. Dort wollten sie ihre Häuser und Familiengräber besuchen. Die Serben hinderten sie jedoch am Grenzübertritt. Dabei waren zwei von ihnen getötet worden. Am Dienstag war es der Ifor nur unter Einsatz russischer Panzer gelungen, eine ähnliche Konfrontation bei Čelić in Nordbosnien zu verhindern.

Die Haltung der Ifor, Muslime am Betreten ihrer einstigen Heimatorte zu hindern, laufe auf eine „Unproforisierung“ der Ifor hinaus, sagte Silajdžić. Die UN-Einheiten waren von den Muslimen beschuldigt worden, vor den Serben in die Knie zu gehen. Im Friedensabkommen von Dayton war allen Parteien vollständige Bewegungsfreiheit in Bosnien-Herzegowina zugesichert worden.

„Das, was die internationale Gemeinschaft über die Ifor geschehen läßt, zeigt klar, daß sie nicht an einer Wiedervereinigung des Landes interessiert ist“, sagte Silajdžić. Die Muslime wünschten sich eine Verlängerung des Ifor-Mandats, fügte er hinzu, „aber wenn sie zu diesen Menschenrechtsverletzungen schweigt, dann frage ich mich, was sie hier sucht.“

Eine Mitarbeiterin einer UN- Hilfsorganisation berichtete, daß serbische Behörden in Nordbosnien nichts unternommen hätten, um eine Gruppe von 350 bis 400 Serben von Drohgebärden gegenüber Muslimen abzuhalten. Die aufgebrachten Serben hätten Knüppel geschwungen und seien mit Pistolen bewaffnet gewesen, um eine Gruppe von 150 Muslimen am Betreten der Ortschaft Koraj in der Nähe des muslimischen Dorfes Čelić zu hindern.

Die Vertreterin des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge in Tuzla, Margarethe Prinz, forderte deutlichere Worte gegenüber den Serben. „Mir reicht es zu hören, daß diese Massenbesuche politisch gesteuert seien.“ Die Muslime wollten ihre ehemalige Heimat besuchen und könnten sich dabei auf den Friedensvertrag von Dayton berufen. „Ich denke, daß die muslimischen Behörden alles tun, um die Situation in den Griff zu bekommen.“ Die Serben werfen den Muslimen statt dessen gezielte Provokationen vor.

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