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Archiv-Artikel

Steinbrück als Objekt der Begierde

Alle Welt verplant zusätzliche Einnahmen, über die der Finanzminister noch nicht verfügt

BERLIN taz ■ Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) hat neuerdings ein Problem, um das ihn jeder Finanzpolitiker beneidet. Mehr Geld als erwartet nimmt der Staat zur Zeit ein, denn erstmals seit Jahren läuft die Konjunktur wieder gut. Dieser glückliche Umstand ruft nun Ratgeber von allen Seiten auf den Plan, die vorschlagen, Steinbrücks zusätzliches Geld für ihre Zwecke zu verwenden. Besonders die Verschiebung, Abmilderung oder Umgestaltung der Mehrwertsteuererhöhung um drei Prozentpunkte ab Januar 2007 ist dabei Gegenstand der öffentlichen Intervention.

Für die Parlamentarische Linke der SPD im Bundestag forderte gestern der frühere Hamburger Bürgermeister Ortwin Runde, einen zusätzlichen Teil der Mehrwertsteuererhöhung an die Bürger zurückzugeben. Wie früher solle Steinbrück einen Zuschuss von rund 4 Milliarden Euro zur Krankenversicherung aus Steuermitteln gewähren, sagte Runde der taz. Der Finanzminister will dieses Geld aus Sparsamkeit einbehalten, was demnächst zur Erhöhung der Krankenkassenbeiträge der Versicherten führt. Wenn sie schon mehr Mehrwertsteuer bezahlen müssten, so Rundes Logik, solle man den Bürgern wenigstens höhere Beiträge ersparen. Grundsätzlich liegt dieser Vorschlag auf der Linie, die auch Steinbrück selbst vertritt: Das Sozialsystem müsse stärker mit Steuern finanziert werden.

An der Mehrwertsteuererhöhung an sich will der SPD-Linke Runde aber „nicht mehr herumwackeln“. Er hält die Maßnahme zwar für zweifelhaft, weil sie den Verbrauchern zu viel Geld entziehe, will aber den Eindruck ständiger, radikaler Richtungsschwenks der Politik vermeiden.

Anders Fritz Kuhn, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag. Der Oppositionelle verlangte gestern, die Anhebung der Mehrwertsteuer auf drei Jahre zu strecken und sie komplett dafür einzusetzen, die Sozialbeiträge zu reduzieren.

Derartige Ideen können das Finanzministerium freilich nicht rühren: Dort scheint die Erhöhung der Mehrwertsteuer in Stein gemeißelt. Zur Verteidigung gegen die lästigen Ratgeber greift Steinbrück zu einem probaten Mittel: Er erweckt den Eindruck, als seien die Kassen so leer wie eh und je. Das stimmt zwar nicht so richtig, ist aber auch nicht völlig falsch. Weil sich die bessere Konjunktur schon seit Längerem abzeichnete, hat der Finanzminister einen Teil der erwarteten, höheren Einnahmen – rund 7 Milliarden Euro – bereits im Vorgriff verplant. Sollten die zusätzlichen Mittel für den Bund bis zum Jahresende auf 15 Milliarden Euro steigen, hätte Steinbrück etwa 8 Milliarden mehr zur Verfügung. Trotzdem könnte er dieses Geld nicht nach Belieben einsetzen. Denn die ungebetenen Einflüsterer des Finanzministers unterschlagen gerne eines: In Steinbrücks Schreibtisch liegen viele ungedeckte Schecks.

So könnte die Arbeitsmarktreform Hartz IV Mehrkosten in Milliardenhöhe mit sich bringen. Möglicherweise wird der Finanzminister seine zusätzlichen Steuereinnahmen noch dringend brauchen. HANNES KOCH