: Steht der Sachsenhausen-Prozeß vor dem Aus?
■ Verteidigung verlangt wegen unfairen Verfahrens Aussetzen des Prozesses / Vernehmung ohne Wissen des Richters?
Potsdam (taz) – Eigentlich sollten am Donnerstang im Prozeß gegen die beiden mutmaßlichen Brandstifter der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen die Plädoyers gehalten werden. Doch einmal mehr in diesem diffusen Verfahren kam es anders. Die Verteidiger forderten die Ablösung der Staatsanwälte Picard und Lenz sowie die Aussetzung des Verfahrens.
„Es ist für unsere Mandanten unzumutbar, mit den beiden Staatsanwälten weiterzuverhandeln“, meinten die Anwälte. Die Anklage würde ihre Pflicht zur Objektivität verletzen, entlastendes Material vorenthalten und den Anwälten erst in letzter Minute Akteneinsicht gewähren. „Die Verteidigung ist nicht in der Lage, sich ordentlich vorzubereiten“, donnerte Verteidiger Wendland.
Im Zusammenhang mit einer erneuten staatsanwaltschaftlichen Vernehmung seines Mandanten am Dienstag dieser Woche bezichtigte der erregte Advokat die Anklageverteter sogar der Lüge. Die Vernehmung habe nach Abschluß der Beweisaufnahme und offenbar ohne Wissen des Vorsitzenden Richters Przybilla stattgefunden, so Wendland. Nach Aussage von Staatsanwalt Picard wurde der Angeklagte Ingo K. nur deshalb von der Polizei erneut aufgesucht, um mögliche Mittäter anhand von Fotos zu identifizieren. Tatsächlich, so die Anwälte, sei K. jedoch von der Polizei detailliert zu anderen Punkten befragt worden, die in die Hauptverhandlung gehörten. „Die Fragen waren sogar darauf gerichtet, meinen Mandanten zu belasten“, erklärte Rechtsanwalt Knoch. Der Anspruch auf ein faires Verfahren sei damit eindeutig verletzt. „Wenn ein Verfahren so krank ist, dann sollte man es aussetzen“, fügte Wendland hinzu. Richter Przybilla kündigte an, die Vorwürfe der Anwälte „sehr ernst zu prüfen“. Er forderte die Staatsanwaltschaft auf, eine schriftliche Stellungnahme zum Antrag auf Aussetzung zu formulieren. Sollte dem Antrag am nächsten Verhandlungstag vom Gericht stattgegeben werden, so müßte das ganze Verfahren neu aufgerollt werden.
Staatsanwalt Picard bezichtigte am achten Verhandlungstag den Angeklagten K., in seinem Geständnis nicht die ganze Wahrheit gesagt zu haben. K. hatte vergangene Woche vor Gericht angegeben, daß er nicht selbst Molotowcocktails auf die Baracke des ehemaligen Konzentrationslagers geworfen habe, sondern eine Gruppe von Skins. In seiner ersten polizeilichen Aussage vom April dieses Jahres soll K. dagegen detailliert geschildert haben, wie er einen Brandsatz auf das Dach der Baracke schleuderte. Picard beantragte, das Tonbandprotokoll dieser polizeilichen Vernehmung vor Gericht anzuhören. Anja Sprogies
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