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Steht Otto Schily vor Parteiaustritt?

■ Schwere Auseinandersetzungen wegen der Israel–Reise von drei Fraktionsmitgliedern / Schily kündigt nach Abstimmungsniederlage Konsequenzen an / Spaltung der Grünen–Fraktion nicht mehr ausgeschlossen

Aus Bonn Oliver Tolmein

Unklar, aber äußerst ernst ist die Lage in der Fraktion der Grünen nach einer Nahost–Debatte am Dienstagabend. Otto Schily äu ßerte direkt nach Beendigung der dreistündigen Kontroverse, er wolle Konsequenzen ziehen, treffe aber keine einsamen Entscheidungen. Waltraud Schoppe hatte bereits zu Beginn der Sit zung den Kritikern der Israelreise vorgeworfen, ihnen gehe es ausschließlich darum, „immer draufzuhauen, bis die Leute aus der Partei gehen. Aber mich kriegt ihr nicht klein. Bevor ich aus der Partei gehe, müssen da andere raus.“ Über die Art von Schilys möglichen Konsequenzen herrscht Unklarheit. Es wird sowohl über seinen möglichen Austritt aus dem Auswärtigen Ausschuß als auch von einem Fraktions– oder gar Parteiaustritt gesprochen. Unklarheit herrscht in der Fraktion auch, wie realistisch derartige Konsequenzen sind, weil etwaige Austritte eine Selbstbeschneidung der politischen Artikulationsmöglichkeiten bedeuteten. Angehörige des engen Umfelds von Schoppe und Schily schlossen aber eine Spaltung der Fraktion nicht mehr aus - andere Stimmen auch aus dem realpolitischen Lager halten dagegen einschneidende Maßnahmen im Moment für unwahrscheinlich. Im Büro Schoppe fanden bis in den Abend hinein etliche Gespräche über mögliche Konsequenzen statt. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Hubert Kleinert, stellte fest, daß man versuche, Schily von weitreichenden Konsequenzen abzuhalten. Aber: „Wenn Otto Schily geht, geht er nicht alleine.“ Der Zustand der Fraktion sei äußerst bedenklich. Kleinert kritisierte, daß die Fraktionsarbeit durch einen „strukturellen Antiautoritarismus“ erheblich belastet werde. Die mehrheitlich realpolitische Fraktionsführung plane, öffentlich eine „schonungslose Bestandsaufnahme“ durchzuführen und aufzudecken, wer in der Fraktion welche Rolle spiele. Anlaß für die hektische Betriebsamkeit ist ein Antrag der Israelreisenden Schily, Schoppe und Wetzel, der von der Fraktion mit 12 gegen 13 Stimmen abgelehnt wurde. In dem Papier wurde die Kritik des Bundesvorstandes an der Israelreise zurückgewiesen. Fortsetzung auf Seite 2 Unter anderem wurde festgestellt: „Den erfolgreichen Ansatz einer grünen Außenpolitik im Nahen Osten wird die Fraktion in personeller Kontinuität mit einer Inforamtionsreise im nächsten Frühjahr in die arabischen Länder fortsetzen.“ Mit Bitterkeit wurde von Schily vermerkt, daß er in der Fraktionssitzung als „Rassist“ bezeichnet wurde, weil er in Israel festgestellt hatte, daß die Palästinenser in Sachen Demokratie von den Israelis lernen könnten. Au ßerdem wurde die Äußerung von Alfred Mechtersheimer, Israel mißbrauche die nationalsozialistischen Verbrechen, um seine aggressive Politik zu rechtfertigen, in Schilys Umfeld als skandalös bewertet. Auf dem linken Flügel der Fraktion wird dagegen als Resümee der Fraktionsdebatte festgehalten, daß Schily nach der Fraktionssitzung trotz der Kritik an der Israelreise mit seiner Nahost–Position nicht besser und nicht schlechter dastehe als zuvor, weil die Fraktion auch eine Erklärung verabschiedet habe, daß die Israelreisenden im Einklang mit grünen Positionen gehandelt hätten. Die heftigen Reaktionen seien deshalb nur als ein Versuch zu verstehen, Druck auf die „schweigende Mehrheit“ in der Fraktion auszuüben.

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