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Stehende Ovationen

Nikolaus Lehnhoffs Janacek-Inszenierung „Die Sache Makropulos“ an der Staatsoper  ■ Von Eberhard Spohd

Das Geheimnis ewiger Jugend - nicht nur Elina Makropulos kennt es. Die Hauptfigur aus Leos Janaceks Oper Die Sache Makropulos, entstanden zwischen 1923 und 1925, ist 337 Jahre alt. Sie wurde Opfer eines Experiments ihres Vaters Hieronymus, der Hofalchemist von Kaiser Rudolf II. war. Der Herrscher wollte ein Lebenselixier, wagte aber nicht, es an sich selbst auszuprobieren. Darum forderte er von seinem Leibarzt, dass seine Tochter es zunächst zu sich nehme. Mit der schrecklichen Folge, dass Elina für 300 Jahre nicht sterben durfte.

„An Ihnen ist etwas Abscheuliches“, erkennt der in sie verliebte Albert Gregor an der Sängerin Emilia Marty. Die verführerisch schöne Sopranistin ist niemand anderes als die Griechin. Die gleichen Initialien verraten es wie bei all ihren Aliasnamen: sei es Elian MacGregor oder Eugenia Montez. Doch in ihrem 337. Lebensjahr lässt die Wirkung des Tranks nach. Sie weiß, wo das Rezept ist und benutzt die Männer, die ihr verfallen sind, um an das Manuskript zu kommen. Sie kennt aufgrund ihres hohen Alters auch Details, um eine hundertjährige Erbstreitigkeit aufzuklären. Dabei muss sie aber ihre Geschichte bekennen. Als sie endlich die Rezeptur wieder erhält, erschrickt sie über die ewige Wiederholung und die Langeweile ihres Lebens. Sie erkennt, dass ihre einzige Erlösung im Tod liegt.

Das Geheimnis ewiger Jugend scheint auch Anja Silja zu kennen. Seit über 40 Jahren steht die Sopranistin auf den Opernbühnen der Welt. Mit 20 Jahren debüttierte sie 1960 in Bayreuth. 1970 sang sie in Stuttgart zum ersten Mal den Part der Emilia Marty und erkannte darin die Rolle ihres Lebens. 1995 errang sie den höchsten Kritikerpreis beim Glyndbourne Festival Opera mit ihrer Interpretation der kalten, ungerührten und zynischen Marty, die die Männer benutzt, so wie es nur eine Frau kann, die 300 Jahre lang selbst deren Spielball gewesen ist.

Am Sonntagabend hatte genau diese Inszenierung von Regisseur Nikolaus Lehnhoff an der Staatsoper Premiere. Quälend langsam bewegen sich die Requisiten über die Bühne, genauso quälend wie der Marty das lange Leben vorkommt. Genauso langsam rieselt die Zeit durch eine überdimensionale Sanduhr. Und genauso quälend gibt die Silja die Sängerin. Noch immer ist die große Stimme präsent, wenngleich mit leichten Schwächen im zweiten Akt. Aber spätestens beim Ende – „Aber vom Tode verkostet ich heut schon, und das war herrlich“ – zeigt die Diva, warum die grauenhafte Marty ihre Paraderolle ist und spielt ihre Kollegen in den psychologisch pointierten Nebenrollen an die Wand. Man merkt: Elina Makropulos ist zu ihrem zweiten Ich geworden.

Dabei profitiert sie von der hervorragenden musikalischen Leitung Ingo Metzmachers, der das Philharmonische Staatsorchester sicher und transparent durch das rhythmisch schwierige Werk führt. Der Generalmusikdirektor legt das Fundament, auf dem die Silja ihre Rolle aufbauen kann. Selten wird eine Oper des 20. Jahrhunderts vom Publikum durchgängig bejubelt. Die stehenden Ovationen aber hatten alle, SängerInnen, MusikerInnen, Regisseur und Bühnenbildner, für eine fantastische Aufführung verdient.

weitere Aufführungen: 22., 25., 28., 31. Januar, 4., 8., 11., 15., 19. Februar (am 8. und 11. Februar mit Kristine Ciesinski in der Titelrolle), jeweils 19.30 Uhr. Heute Abend präsentiert Anja Silja ihre Biografie (20 Uhr, Opera stabile)

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