■ Staunende taz-LeserInnen: Aus der Arroganz der Macht wurde die Arroganz der Menschen-rechtler: Auf luxuriöse Art launig
betr.: „Die Arroganz der Menschenrechtler“, taz vom 26. 5. 00
[...] Georg Blumes analytische Kurzschlüsse suggerieren, die europäische Linke sei der wahre Verhinderer Chinas gesellschaftlicher Entwicklung. Das ist nicht nur eine krude Verdrehung von Ursache und Wirkung, sondern auch eine verfehlte Analyse der Faktoren, die für Chinas gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung maßgeblich sind. Die faire Einbindung Chinas in den Welthandel ist jedoch eine zu wichtige Diskussion, um sie den verdrehten Hirnwindungen solcher Polemiker zu überlassen. [...]
TARIK AHMIA , Berlin
Da staunt man doch, wie sich die Zeiten ändern: Aus der Arroganz der Macht ist die Arroganz der Menschenrechtler geworden, aus der Alternative in der bundesdeutschen Medienlandschaft wurde die Hauspostille der lässig-wohlgelaunten Modernisierungsfans, und wenn man will, dass 1.000 Blumen blühen, muss man – wie uns jetzt Herr Blume lehrt – schnell möglichst viel Handel mit den USA haben oder besser gleich in die WHO eintreten.
So was Schönes habe ich über den globalisierten Kapitalismus mit entfesselter Beißhemmung (Negt) schon lange nicht mehr gelesen. Aber da gibt es zum Glück die „Eine muss es sagen-taz“. Von ihr erfährt der erstaunte Leser dann auch, dass der Protest gegen 1.500 Hinrichtungsopfer immerhin „lobenswert“ ist, aber doch mehr was für Leute, die nur kleine Zusammenhänge überschauen. Dem armen chinesischen Bauern kann nämlich nur geholfen werden, wenn man ihn schnell zu uns, in die „Mitte des globalen Marktes“, einlädt, und alles wird gut. Und wer das anders sieht, ist eben ein missgünstiger Bedenkenträger, ein blutleerer Intellektueller womöglich gar, altmodisch eben. [...] Ein signifikanter Unterschied ist zwischen den Argumenten Blumes und denen des Kapitals nicht mehr feststellbar! [...]
HELMUT HEIT , Hannover
[...] Vor allem die Wortwahl war 1 a. So wird wenigstens beim ersten Lesen sofort klar, worum es Herrn Blume geht, nämlich um die Demaskierung der „Menschenrechtler“. Denn genau die sind die wirlichen Feinde des chinesischen „Volkes“, zumindest in der Weltsicht des Leitkommentatoren. Illustre Gesellschaft hat er sich da augesucht, der Georg Blume. [...]
Und dann immer das lästige Gelaber von Werten und so. Weg damit! Dann kann endlich auch die Türkei ohne Wenn und Aber in die Europäische Union aufgenommen werden und die Gaskammern der USA können endlich auch ohne Rücksicht auf Proteste der behämmerten Menschenrechtler laufen.
George Blume ist es im Übrigen auch gelungen, klar darzustellen, warum der chinesische Weg eben nur so geht, wie es Peking will, und nicht anders: Sachzwingzwang, dihollehadrihoo, dihollehadrihoo. Und auch die heikle Frage, warum er als einzigen Bündnispartner neben den Sprechern des Kapitals nur jenen Bill Clinton vorweisen kann, unter dessen Präsidentschaft ja sozusagen die Armut in den USA ausgerottet worden ist, hat Georg Blume widerspruchsfrei beantwortet. [...] SYLVIA SCHLIEBE,
CHRISTOPH BECKER , Rottenburg-Frommenhausen
[...] Nichts gegen Brecht: Erst kommt das Fressen, dann die Moral, aber Blumes Anti-Menschenrechtler-Schelten wie die heutige erscheinen mir angesichts derer, die jahrzehntelange Willkür-Haft absitzen, unter unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit leisten und der Folter unterliegen, auf luxusiöse Art launig.
Soll der globale Kampf um Menschenwürde nun dahingehend umgewidmet werden, dass wir Panzerknacker-Diktaturen den Platz am kapitalistischen Katzentisch erkämpfen, weil Herr Blume seinen Arsch darauf verwettet, dass die Machthaber den Kuchen gänzlich und ohne Abschlag an Milliarden arme Bauern weiterreichen? ECCO MEINEKE, München
Es gibt das „Stockholm-Syndrom“ als Folge unfreiwilliger Gefangenschaft. Wäre dann die Folge freiwilliger Gefangenschaft ein „Peking-Syndrom“? Georg Blume lebt in China. Je länger, desto mehr scheint China auch in ihm zu leben. [...]
Zugegeben: Es gibt nicht nur arrogante Menschenrechtler, sondern sogar verlogene. Aber „Die Arroganz der Menschenrechtler“ gibt es erst nach längerer Gehirnwäsche. [...] Und wo ist „die westliche Linke“, die sich gegen eine Öffnung Chinas zur Welt sträubt? Eine derart einheitliche Sichtweise können die Linken im Westen ja wohl kaum zustande gebracht haben. [...]
Natürlich stehen wir im Konflikt zwischen Stärkung der chinesischen Wirtschaft und Stärkung der politischen Bedeutung Chinas, die in Asien ganz besonders eine militärische Bedeutung ist, vom okkupierten Tibet (z. B. Uran) bis zu den noch umstrittenen Spratly-Inseln (z. B. Erdöl). Fühlt sich ein Volk ohne genügend Raum, dann dehnt sich das Rechtempfinden ganz einfach und ändert sich die Geschichte nach Wunsch. Es gibt für alles eine vernünftige Erklärung.
Im Interessenkonflikt zwischen den Geschäftsmöglichkeiten heute und den möglichen Folgen morgen spielt nicht nur Arroganz eine Rolle, sondern eben auch Verlogenheit, die sich an Gemeinplätzen gut nährt. Aber nicht nur der Kampf für die Menschenrechte, sondern auch die Pflege des wirtschaftlichen Fortschritts verkommt leicht zum Vehikel der Interessenpflege. China bekommt das zur Zeit recht gut.
Taiwans 20 Millionen Einwohner dagegen sehen angesichts der (sogar von eigenen Geschäften mit geförderten) Stärkung Chinas härteren Zeiten entgegen. [...] Wie gut Verlogenheit gestreut ist, werden wir sehen, wenn Taiwan der WTO-Beitritt verwehrt wird, obwohl Taiwan die Beitrittskriterien schon seit langer Zeit weit besser erfüllt als China. [...] GÖTZ KLUGE, München
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