: Statt Folklore war Striptease verlangt
Ein Agent, der arme Filipinas an Bordelle vermittelte, sagte im Essener Menschenhandelsprozeß aus ■ Von Diemut Roether
Es sei bekannt, daß es im Séparée nicht immer so zugehe wie in der Operette, befand die Vorsitzende Richterin am 16. Verhandlungstag im Essener Menschenhandelsprozeß. Sie wollte deshalb wissen, was dort in Wirklichkeit geschehen sei. Der des Menschenhandels beschuldigte Künstleragent Reinhold Kämper hat zwar sein Schweigen gebrochen, doch diese Frage will er sich nie gestellt haben: „Ich habe das verdrängt“, erklärt er. Gelegentlich habe er einige der Filipinas, die er als Folkloretänzerinnen vermittelt hatte, auch Striptease tanzen sehen, gibt er zu. Er habe sich jedoch gesagt: „Letztlich sind sie erwachsene Menschen, ich hatte da keinen Einfluß drauf.“ Auch daß er die „Folkloretänzerinnen“ in ein „bordellähnliches Milieu“ vermittelte, in dem Frauen in Séparées der Prostitution nachgingen, ist dem Agenten nicht entgangen. Heute tue es ihm fast leid, daß er „das alles“ damals nicht sorgfältiger beobachtet hat, denn dann, meint Kamper, „säße ich jetzt vielleicht nicht hier“. Die Notlage der Filipinas und ihr Widerwillen gegen die Arbeit sei ihm erst beim Studium der Prozeßakten und während der Verhandlung richtig bewußt geworden. Die Richterin hilft dem schwachen Gedächtnis des Angeklagten Krämer auf die Sprünge, indem sie aus den Telefonaten zitiert, die das nordrheinwestfälische Landeskriminalamt abgehört hatte. In den Gesprächen mit Barbesitzern pries der Agent die Qualitäten seiner Ware an: „Sie ist eine Superfrau“, heißt es da über eine seiner „Folkloretänzerinnen“. Die Richterin wendet ein: „Tempeltänzerinnen sollten das ja wohl nicht sein.“ Und der Angeklagte behauptet, er habe sich mit diesen Formulierungen nur an die Sprache der Barbesitzer angepaßt.
Zwar ist auch Krämer nicht entgangen, daß das, was die Barbesitzer von den Filipinas erwarteten, nicht mit dem übereinstimmte, was die Frauen tatsächlich wollten, nämlich Folklore tanzen. Seine Strategie: „Ich habe versucht, beiden Recht zu geben.“
In der Praxis sah das so aus, daß er die Frauen, die sich über ihre Arbeitsbedingungen in der einen Bar beschwerten, an eine andere Bar vermittelte — wo sie vielleicht sogar noch schlechter waren. Auch wenn ein Barbesitzer mit der Arbeit einer Filipina nicht zufrieden war, wurde sie weiter verschoben.
Daran, wieviel ihm die Vermittlung der Filipinas monatlich einbrachte, mag sich der Kaufmann Krämer nicht mehr erinnern, er räumt jedoch ein, daß das „Geschäft“ gut lief. Der Staatsanwalt baut dem Angeklagten goldene Brücken: ob er vielleicht finanzielle Schwierigkeiten hatte, fragt er ihn. Der Agent bejaht, er habe Schulden. Ein Mann als tragisches Opfer seiner Umstände. Unterstützt wurde er in seinem Geschäftsgebahren auch von Ämtern, die ihm im Zusammenhang mit den im Barbetrieb arbeitenden Filipinas signalisierten, sie wollten auch nicht „päpstlicher sein als der Papst“.
Die in Essen ebenfalls vor Gericht stehende zypriotische Agentin Kallesteni Ionanu will sich nun ebenfalls zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen äußern.
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