piwik no script img

■ Medizinisch-industrieller Komplex beraubt KrankenkassenStatt Ethik herrscht Monetik

Der Ruf der Medizin in der Bundesrepublik durchläuft einen rasanten Wandel. Vom Halbgott in Weiß mit dem höchsten Sozialprestige in der Gesellschaft ist nur ein kurzer Weg zum Beutelschneider und Abstauber mit dem Rezeptblock. In fast allen Bereichen der ärztlichen Tätigkeit regiert mittlerweile die schnöde Monetik über die medizinische Ethik.

Ein großer Teil der niedergelassenen Kollegen lastet bei der Behandlung von ambulanten PatientInnen vor allen Dingen seinen Maschinenpark aus, verschreibt zu viel und zu teure Medikamente und weigert sich gleichzeitig, das kostentreibende Abrechnungssystem zu reformieren. So werden Patienten mit Fünfminutenmedizin wie am Fließband abgefertigt, für ein vertiefendes, einfühlsames ärztliches Gespräch bleibt keine Zeit. Ärzte, die da nicht mithalten, verdienen kein ausreichendes Geld.

Chefärzte kassieren Nebenverdienste in Millionenhöhe für Leistungen, die sie oft selbst gar nicht erbracht haben, weil sie Einrichtungen und Personal der Kliniken nutzen. So summieren sich allein in Berlin die Nebeneinnahmen von 270 Chefärzten auf achtzig Millionen Mark im Jahr, in der Bundesrepublik ist dies eine Summe von über einer Milliarde Mark.

Ärzte entnehmen illegal und heimlich Gewebeteile von verstorbenen Patienten und Patientinnen und verkaufen sie an Pharmafirmen. Werden die Ärzte dabei ertappt, berufen sie sich auf Gewohnheitsrechte. Diese Liste ließe sich lange fortsetzen.

Neu an dem aufgedeckten Skandal innerhalb der Herzchirurgie – der strahlenden Spitzenmedizin in der Bundesrepublik – ist allerdings das Ausmaß, die Zielstrebigkeit und die kriminelle Energie, mit der ein Betrugskartell zu Lasten der Beitragszahler organisiert wurde. Wenn die Berichte auch nur zur Hälfte stimmen, dann herrschen mafiaartige Zustände in den Chefetagen der Herzchirurgie, dann sollte überlegt werden, ob die regelmäßigen Treffen zwischen den Beteiligten, getarnt als wissenschaftliche Kongresse oder Fortbildungsveranstaltungen, nicht durch die Strafverfolgungsbehörden überwacht werden sollten.

Innerhalb der Medizin gibt es seit langem warnende Stimmen und eine sichtbare Opposition gegen das Amigosystem zwischen Pharmaindustrie und Ärzteschaft. Es mangelt nicht an Versuchen der Rückbesinnung auf den „heilenden Auftrag“ als ureigenste Bestimmung ärztlicher Tätigkeit. Aber solche Ansätze haben sich bisher nicht durchgesetzt. Der Selbstheilungsprozeß innerhalb der Medizin ist nicht ausreichend vorangekommen. Solange allerdings die Gesundheitspolitik die Rahmenbedingungen für ärztliche Tätigkeit immer stärker in Richtung Marktwirtschaft und Konkurrenz verschiebt, werden solche Skandale eher zunehmen als abnehmen. Bernd Köppl

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen