Der DDR-Jazz und das Spitzelsystem

Eine Diskussion in Leipzig befasst sich kaum mit Stasi-Vorwürfen gegen den Jazz-Organisator Ulli Blobel

Von Michael Bartsch

Beim Podium „Herkunft und Freiheit“ der Leipziger Jazzwerkstatt am Sonnabend hatte Ulli Blobel als Zentralfigur des DDR-Jazz gleich das erste Wort. Launig, eloquent und leicht berlinernd stellte er „DAS Bassposaune“ vor, die Legende Conny Bauer. Nach dessen langem Solo setzte die Diskussion nicht minder launig fort, und teils weit angereiste Mitglieder der DDR-Jazzgemeinde hatten ihre Freude an eingestreuten Anekdoten. Vor allem aus Peitz nördlich von Cottbus, dem Woodstock der Szene.

Gerade dieses Symbol einer nonkonformen Jazzkultur im Land der FDJ-Singeklubs aber hätte den erfreulichen Anlass auch sprengen können. Die Deutsche Nationalbibliothek übernimmt jetzt die Archive der Peitzer Jazzwerkstatt. Am 15. Juni dieses Jahres erschien aber in der taz eine Doppelseite, die sich mit möglichen Staatssicherheitsverstrickungen des populären Mitgründers des Peitzer Jazzmekkas Ulli Blobel befasste. Der bestreitet im Artikel Kontakte zur Stasi nicht, um Konzerte durchführen zu können, wohl aber jede formelle Verpflichtungserklärung als Inoffizieller Mitarbeiter „Thomas“.

In der Leipziger Diskussion waren zwar mit dem exponierten Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk und dem seit 24 Jahren amtierenden Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, zwei im taz-Artikel zitierte damalige Zeitzeugen anwesend. Kowalczuk hatte die Vermutung Blobels für äußerst unwahrscheinlich erklärt, seine Akte könne gefälscht sein, und bedauert, dass er nicht selbst in die Offensive gegangen sei und damit auch dem Ruf von Peitz geschadet habe. Der Fall Blobel aber kam nur mittelbar über das allgemeine Spannungsverhältnis zwischen Jazzern und dem SED-Staat zur Sprache.

Er habe diese offenen Fragen nicht angeschnitten, um „nicht wieder als Störenfried dazustehen“ und die freundschaftliche Stimmung nicht zu stören, plauderte Kowalczuk nach der Diskussion. Fast 35 Jahre nach dem Sturm auf die Stasi-Zentralen ist gerade er als exzellenter Kenner des DDR-Spitzelsystems kein Jakobiner. Was Kowalczuk beisteuerte, entlastete Blobel sogar indirekt. „Die Staatssicherheit machte keine eigenständige Kulturpolitik“, weiß er, und ein suspekter Ort wie Peitz habe in der Hand der sozialistischen Einheitspartei SED gelegen. Der Jazz sei ohnehin „kein Schwerpunkt der Beobachtung gewesen“, seine Anhänger „habituell nicht auffällig“ im Gegensatz zu Bluesern, Punks, Hippies oder Skins.

Das nonverbale Kunstgenre habe Jazzmusik auch weniger angreifbar gemacht, war man sich im Podium einig. Der nach der Wende durch zahllose MDR-Sendungen bekannter gewordene Bert Noglik stufte sie eher maßvoll ein. Der Musikjournalist sprach von „Musik für die, die Grenzen überschreiten wollten“, von „interkommunikativer Musik“ und von einem „alternativen Segment“.

„Man wollte, dass ich mehr erzähle“, lässt Ulli Blobel den Ausgang offen

Und Blobel selbst? Mit seinen Erinnerungen erntete er reichlich Heiterkeit, zumal er sie mit vielen der etwa 120 Gäste teilen konnte. In der Startphase der Jazzwerkstatt Peitz 1973 „waren Genehmigungsverfahren weniger schwierig als die Versorgung der Teilnehmer“, schildert er Vorgänge, die an die biblische Geschichte von der wunderbaren Brotvermehrung bei einer Predigt Jesu erinnern. Tausend Flaschen Wein mussten übers Jahr eingelagert werden, damit jeder Fan vielleicht eine halbe bekam.

Ansprechpartner war erst einmal der Dorfpolizist, später zwei Typen in Lederjacken, das Finanzamt. Mit „Westausländern“ wurde es komplizierter, Blobel musste Berichte schreiben, wer da war. Er habe dann improvisiert und Namen verdreht, „damit es gut ausgeht“. „Man wollte, dass ich mehr erzähle“, lässt er den Ausgang offen. Als 1982 Peitz verboten wurde, habe er faktisch Berufsverbot erhalten und sei zur Ausreise gedrängt worden, stellt er die Phase bis zur Übersiedlung nach Wuppertal 1984 dar.

Nach der Diskussion angesprochen, bezeichnete Ulli Blobel den taz-Artikel, gegen den er erfolglos geklagt hatte, als verletzend. „Ich habe meine Akte seit 35 Jahren nicht mehr gelesen, weil ich mir mein Leben danach nicht kaputtmachen wollte.“ Seit 2011 gibt es Peitz wieder, von seiner Tochter Marie geleitet. Den finalen Satz der Diskussion steuerte der damalige Bürgerrechtler Thomas Krüger bei: „Wer über Vergangenheit redet, redet über die Gegenwart.“