piwik no script img

StandbildStasi-TV

■ "Talk im Turm", Sonntag, Sat.1, 22.00 Uhr

Interessant, aufregend, zuweilen traurig, seltener erleichternd, verlief die Stasi-und-Umfeld-Diskussion der letzten Woche in den Medien: Heinz Klaus Mertes sprach Manfred Stolpe seine Rücktrittsforderung direkt „in die Augen“, der Fußballer Torsten Gütschow wurde enttarnt, der PDS-Vorsitzende Gysi entlastet, der 'Wochenpost‘-Chef Greffrath firmierte in einer Aspekte- Sendung als nachdenklicher Ostler, Günter Schabowski mußte sich zum Gaudi des TV-Publikums mit Strohhut in eine Hängematte legen, und als hätten sie's abgestimmt, präsentierte sich direkt vor dem Stasi-Talk Till Meyer als erster IM aus Überzeugung. Gut besetzt war die Talk- Show: Heinz Klaus Mertes, ein „Staatsbürger“, der ständig von „seiner wohlabgewogenen Meinung“ sprach und sich schon als Schüler für Politik interessiert hatte, traf auf den „kundigen“ ('Spiegel‘-)

Autoren und Ex-DDRler Rolf Schneider. Dohnanyi (63, SPD), in allem ein elder statesman, stritt mit der sanftgrün gewandeten Bärbel Bohley, Vera Wollenberger berichtete noch einmal von dem Verrat ihres Mannes, der sich mittlerweile auch an Springers 'BZ‘ verkauft hat. Der ins Zwielicht geratene Rektor a.D. der Berliner Humboldt-Uni, „Heiner“ Fink, warf selten ein Wort dazwischen. Die Rollen waren festgeschrieben: Während Vera Wollenberger mit einem „Stasi-Opfer“ unter ihrem Namen noch einmal erniedrigt wurde, durfte Bärbel Bohley zumindest als „Bürgerrechtlerin“ eine aktivere Rolle übernehmen. Betroffen und auf ihre Opferrolle auch in der Sitzordnung festgelegt, stritten Bohley und Wollenberger gegen die männlich-souveräne Wohlabgewogenheit der Männer. Um Stolpe ging es, der — so Bärbel Bohley — gegen ihren Willen ihre Freilassung aus dem DDR-Knast bewirkte und so den von ihr angestrebten politischen Schauprozeß verhinderte. Ein gemütlicher Herr Böhme suchte ab und an die Wahrheitsmächtigkeit der Akten in Frage zu stellen, Dohnanyi mahnte etwas weizsäckerisch vor Überheblichkeit, und der etwas widerliche Mertes wedelte wichtigtuerisch mit Papier herum, das Fink weiter belasten würde. Von lebendiger Rede war nur etwas bei den beiden Frauen zu spüren. Die Männer redeten Schrift.

Wahrscheinlich ist die Talk-Show ein ungeeignetes Genre zum Verständnis von Geschichte. Geschichten, die Geschichte erst erfahrbar machen, lassen sich eher im Interview erzählen. Manchmal sind sie extrem kurz, wie der Abschied Till Meyers von seinem Führungsoffizier: „,Genosse, der Sozialismus ist am Ende. Die DDR hat verloren. Unsere Wege müssen sich jetzt trennen.‘— Und dann haben wir uns umarmt und sind auseinandergegangen.“ Detlef Kuhlbrodt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen