: Stark-Jazz aus der Strick-Fabrik
■ Chapin-Trio, „Spanish Fly“ und „Blue Dog“ in der Markthalle
Ein kleines Hoch, ein „Hoch“ im Sinne eines Mehr an Produktivität und einer gesteigerten Aufmerksamkeit seitens der Öffentlichkeit, erlebt jüngst der Jazz. Nicht die große dümmlich-gefällige Dancefloor-Jazz-Geste, die Musik mit Attitüde verwechselt, sondern Free, Cool, Bebop, rund um die Beat Generation und Menschen, die hart an Tönen und Zusammenspiel arbeiten, wobei fast zwangsläufig etwas entsteht, was im Koordinatensystem Musik zu Jazz fällt.
Klassische Besetzungen arbeiten vielerorts wieder, das Trio an erster Stelle. Ein Trio präsentiert uns auch Bandleader und Altsaxophonist und Flötist Tomas Chapin, ein ehemaliger Mitstreiter Lionel Hamptons, der nach eigenem Bekunden beim Singen unter der Dusche komponiert. Da zeigt sich der vollblütige Musiker: Wo die gemeine Menschheit nicht über „Strophe-Refrain-Strophe“ hinauskommt, wird hier wunderbares, frei in Schleifen zueinanderfindendes Spiel erdacht. Daraus entsteht mit dem - auf Tonträger um fünf Bläser verstärkten - Trio, so Chapin, im Sinne „Ornette Colemans, Rhsaan Roland Kirks, der Esel, Hühner und Vögel im allgemeinen“ ein spanndender malerischer Klangkorpus, der zugänglichste der drei Formationen dieses Abends.
Blue Dog aus Michigan kreisen im Vergleich dazu schneller um den zu findenden Ton. Was dabei in loser Schichtung liegenbleibt ist Fusion, Tango, Latin - sie schmiegen sich in die offenen Wunden der umherirrenden Kompositionen. Dann wird gerne mal die Geschwindigkeit bis zur Grindcore-Grenze angezogen, um vor der nächsten längeren Atempause noch schnell „I shot the sheriff“ einzuschieben. Das Quintett, in gleicher Besetzung wie John Zorns Naked City, hat in dieser Formation auch seine große Meßlatte. Da reichen sie doch recht hoch. Daß der Spaß, den diese Muik ungemein verursacht, manchmal mehr bei den Künstlern als bei Teilen des Publikums liegt, ist allemal legitim.
Spanish Fly, der innovative Höhepunkt des Abends, liefert die eigenständigste Klangfarbe. Das Trio, das sich aus Lounge Lizards- und Henry Threadgill-Mitspielern formiert, irritiert schon durch die Besetzung: Tuba, Trompete und Slide-Gitarre. Altes bis uraltes Material, Blues und Gospel schimmern in den Stücken durch. Die Intensivierung, die sich totstandardisierte Wurzeln hier mit einer Freiheit sondergleichen erfahren, dürfte für einige Gänsehaut gut sein. Gemeinsam haben alle Beteiligten eines: Sie gehören der New Yorker-Knitting-Factory-Kommune an. Die Ehre liegt auf beiden Seiten.
Uschi Steiner
Heute abend, Markthalle, 21 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen