■ Standbild: Von gestern
„Der Bergdoktor“, Montag, Sat.1, 20.15 Uhr
Über allen Gipfeln war Ruh, bis das ZDF die „Schwarzwaldklinik“ erfand: Bei ihrer Erstsendung am 22.10.1985 versammelte der Schwarzwälder Schinken mit 61 Prozent mehr Zuschauer vor den Bildschirmen, als es bis dahin die deutsche Nationalelf vermochte. Serien wie die „Schwarzwaldklinik“ – damals noch die Ausnahme im Tele-Alltag – sind heute die Regel deutscher Quoten-Unterhaltung. Hollereradiho, jetzt ruft auch der „Bergdoktor“ des Kommerzsenders Sat.1 das von der Alltagslast gedrückte Publikum in's einfache Leben unter die Baumgrenze.
Ach, Sonnenstein! Das ist außerhalb der Reihe das Tiroler Dörfchen Wildermieming, das in der Werbung schon glücklichen lila Kühen das Edelweiß lieferte. An diesen Ort, so schön wie auf einer Fototapete, verschlägt es den gestreßten Chirurgen Dr. Burgner. Der Volksschauspieler Gerhart Lippert („Komödienstadl“) mimt den Messerhelden überzeugend im modischen Country-Look. Längst hat er im wirklichen Leben schon mentalen Bezug zu der Rolle geknüpft: „Das höchste Gut ist für mich die Gesundheit.“
Im Fernsehen hat er im Dorfidyll die Christel aus dem (Kuh-)Doktorhaus kennengelernt, doch die ist ihm vor zwei Jahren weggestorben, weil man ja unbedingt in Sachen Karriere nach München ziehen mußte. Dahin, wo „man nicht zum Nachdenken kommt, weil alles so hektisch ist“ und die Kinder rund um die Uhr fernsehen, heuchelt Sat.1. Ein Glück, daß Burgner in letzter Minute aus dem Flugzeug springt und nicht nach Samos (Ausland!) in Urlaub fliegt, sondern seinem siechenden Schwiegervater mit einem goldenen Schnitt zu neuem Leben verhilft. Die Berge sind nicht schlechter als Griechenland, sagt er, denn „dafür verstehen wir, was geredet wird“. Doch hier irrt der Halbgott: Nicht nur, wenn Opa im Spitzennachthemd vor sich hin brabbelt, benötigen manche Couchpotatoes Untertitel.
Doch schon im Pilotfilm begrüßt uns der obligatorische Wuschelhund mit Schwanzwedeln, die Heidi-Freundin mit den dicken Zöpfen hat auf Sohnemann gewartet und das Burgfräulein nebst potentiellen Rivalinnen auf den alpinen Doktor. Genug Stoff für eine mindestens 26teilige Reise in den Loreroman, den Heimat- und Arztfilm der Fünfziger! Diese „Auferstehung“ – so der Titel der ersten Folge, der uns in Sütterlinschrift im Vorspann die Richtung weist – ist nichts Neues; von gestern zu sein, paßt ausnehmend gut in die Gegenwart. Abgesehen davon, daß mancher Cliffhanger in diesen Bergen fehlte: Der ambulante Arzttermin in Sat.1 hat nicht mehr wehgetan als der Klinikaufenthalt im ZDF. Sabine Jaspers
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