■ Standbild: Mit Teflon beschichtet
„Reportage: Tatort Bahnhof“, Freitag, 21.15 Uhr, ZDF
Kleine Ladenmädchen wollen im Kino keine kleinen Ladenmädchen sehen. Die eiserne Hollywood-Maxime erklärt nicht nur das Scheitern des problematischen Deutschfilms – sie läßt auch die Dokumentaristen nachdenklich werden. Ist denn die Wirklichkeit wirklich interessant? Fürs Kommerzfernsehen ist derlei keine Frage. Schließlich kann jeder mal in die Verlegeheit geraten, getötet zu haben oder unter seinem Häusle eine Giftmülldeponie zu entdecken. Mit täglicher (Selbst-)Verständlichkeit nimmt der Alltag als Ausnahmezustand auf Hans Meisers Seelenshow-Couch Platz.
Was aber, wenn nix brennt, keine „Notrufe“ eingehen? Wenn also der gereizte, aber an äußeren Anreizen arme Normalzustand eintritt? Dann schlägt die halbe Stunde der Öffentlich- Rechtlichen. Dann ist es Zeit für das ZDF, für die „reportage“. Dort gibt es noch ein Fernsehleben vor der Bluttat und Existenzen ohne Exhibitionismus. Dort dürfen Autoren wie Harald Schott 30 Minuten lang die Tristesse abgefahrener Bürger erster bis letzter Klasse beobachten. Schummrige Streifzüge am „Tatort Bahnhof“ mit den Ordnungshütern zwischen Morgen und Grauen.
Ergreifend schlichte Begegnungen mit Aktenbergen und fahrscheinlosen Leistungserschleichern: „Sache se mal, warum se überhaupt in den Zug gestiche sin'?“ Das berührt die letzten Fragen unseres Lebens. Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Gibt es einen Grund für unser Dasein?
Der befragte Berber wußte darauf sowenig eine Antwort wie der vor die Kamera zitierte Bürger in Uniform. Die Reportage, die anfangs noch aussah wie ein Schulungsvideo für Berufspraktikanten, verlegte sich angsichts dieses Erkenntnisnotstandes schnell auf die Pflege einer klassischen Tugend – das „einfach draufhalten“. Da werden Banalitäten gezeigt, wie die Anzeige einer ihrer Handtasche beraubten Dame, und das Kamera-Objektiv scheint mit Teflon beschichtet: Es nimmt Impressionen auf, ohne das davon etwas haften bleibt – wie der junge Polizist, dem zum Mainzer Junkieelend nur einfällt, daß man da „als einzelner nix machen“ kann.
Die Welt ist schlecht und dreht sich im Kreise. Ihr TV-Abbild erfüllt keine aufklärende Funktion mehr, sondern dient nur zur Beschwörung, zum Banne: der Knoblauch, der aus der Glotze kommt. Dieter Deul
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