Standbild: Entlarvt, nicht aufgeklärt
■ "Sachsenhausen"
„Sachsenhausen“. Mittwoch, 22.30 Uhr, B1
Nichts gegen Polemik, aber viel gegen Polemik, die daherkommt, als sei es keine, sondern schlichte Dokumentation. Das ist dann nämlich Demagogie. Ein krasses Beispiel, wie man durch umkommentierte Filmschnitte Geschichtsklitterung präsentiert, bietet der 106 Minuten lange „Dokumentarfilm“ über Sachsenhausen. Eigentlich hatte der SFB Kommentartexte verlangt, die die Autoren Walter Krieg und Dieter Vervuurt aber als „Zensur“ begriffen. Nachdem der Film dann mit Erfolg auf dem Dokumentarfilmfestival in Leipzig 1993 und bei den Berliner Filmfestspielen 1994 gezeigt wurde und die Medien sich mit Geheul auf den „Zensor“ stürzten, knickte der Sender ein.
Der Film erzählt aus der Perspektive ehemaliger KZ- Häftlinge die Auseinandersetzungen um die Gestaltung der Gedenkstätte in der Wendezeit. Er beginnt mit dem Einzug der Oranienburger Finanzbehörde in die ehemalige „Zentrale Inspektion der Konzentrationslager“ und endet mit den Bildern der von Brandstiftern zerstörten „Jüdischen Baracke“. Dazwischen Gespräche mit einer „abgewickelten“ Gedenkstättenmitarbeiterin und, ausführlich, der bittere Protest von Häftlingsorganisationen über die Demontage der von ihnen gestalteten Ausstellung. Man sieht, wie Westler mit Camcordern die Gedenkstätte okkupieren, um einen Gedenkstein für die Opfer des Stalinismus einzuweihen.
Die Botschaft wird durch die Auswahl der Ereignisse klar: Böse Westler machen den guten Antifaschismus der DDR platt. Kein Wort davon, daß die „Zentrale Inspektion“ seinerzeit NVA-Sperrgebiet war, heute dagegen Informationstafel und Ausstellung im Gebäude selbst ihre Geschichte dokumentieren. Daß heute endlich die Archive geöffnet sind. Und unverzeihlichster Fehler: Die Vorwürfe der ehemaligen KZ-Häftlinge und der entlassenen Gedenkstättenmitarbeiterin bleiben im Raum stehen. Weder der damalige Leiter Gerhard Emig – er wird immer wieder der Lüge bezichtigt – noch andere Verantwortliche werden dazu befragt. Überfallartig ausgequetscht werden dafür untergeordnete Angestellte, deren Hilflosigkeit die These vom abgewickelten Antifaschismus dokumentieren soll. Dieser Film wollte nicht aufklären, sondern entlarven, und dafür hat er die ehemaligen Häftlinge instrumentalisiert. Anita Kugler
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