■ Standbild: Sonnenfinsternis bei RTL
„Die Tunnelgangster von Berlin“, So., 10.15 Uhr, RTL
Als knapp ein dreiviertel Jahr nach dem wahnsinnigen Selbstmordattentat von Euskirchen der „Amokläufer“ auf RTL seine filmische Widerauferstehung ankündigte, dachte wohl jeder an ein perfides Machwerk. Doch Keglevics Film mit Christoph Walz in der Hauptrolle war ein kleines Meisterwerk. Auch die „Dagobert“-Verfilmung „Das Phantom“ war gelungen. Daß Sat.1 die Rechte für den Stoff nicht erwerben konnte und so die Manöver des Kaufhauserpressers nur aus der Perspektive der Polizei darstellen durfte, kam dem Film sehr zugute.
Bei den Tunnelgangstern, die vor knapp einem Jahr in Berlin Zehlendorf einen spektakulären Raub durchführten, ist das anders. Regisseur Menahem Golan konzentriert sich von Anfang an auf den Mikrokosmos der Tunnelgräber. So ist der Regisseur darauf angewiesen, Charaktere hervorzuschälen, differenzierte Interaktionen zwischen den Gangstern zu zeigen und die Einzelheiten der Tatvorbereitung möglichst spannend in Szene zu setzen. Nichts davon ist bei „Die Tunnelgangster von Berlin“ gelungen.
Oliver Reed als Chefplaner im Hintergrund war eine einzige Knattermime mit regelrecht schleimigen Dialogen. Der weise alte Psychologieprofessor stammelt nur Unsinn und trinkt Cidre. Doch selbst unfreiwillige Komik war in diesem Film ungenießbar. Ein stumpfer Synchronton, der sich über die Szenerie legte wie die Fernsehdecke meiner Mutter, erstickte den letzten Rest von Atmosphäre. Von der Dramaturgie ganz zu schweigen. Reicht einer der Tunnelgräber dem nächsten die Erde weiter, so instruiert er ihn präzise: „Hier, bring das weg!“ Und wenn Gangsterbraut Jasmin im Tunnel eine fette Ratte sieht, dann kreischt sie: „Oh Gott, Mäuse!“ Daß es mitten im Hochsommer abends um Viertel nach sechs schon dunkel ist, wundert dann auch nicht mehr.
Es war zum Kinderkriegen: Und genau das geschieht dann auch noch. Ganz nebenbei entbindet eine Bankangestellte zwischen zwei Bürostühlen ein Baby. Applaus von den übrigen Geiseln. Die heitere Stimmung während der ewig währenden Geiselnahme erinnerte eher an eine Sitcom als an einen Banküberfall. Hätten die tatsächlichen Räuber, die zur Zeit vor Gericht stehen, sich so angestellt wie ihre filmischen Doubles – sie hätten es nie so weit gebracht. Manfred Riepe
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