■ Standbild: Rotweinschwere Gefühle
„Winterkind“, Mittwoch, 20.15 Uhr, ARD
Man muß das mögen. Diese langen Einstellungen, wissenden Großaufnahmen, tragenden Akkordeonklänge. Es gab Zeiten, da wurde Margarethe von Trotta für ihren Stil als Ikone des Frauenfilms gehandelt. Böse Zungen dagegen behaupteten, so etwas gehöre doch eher ins kleine Fernsehen als ins große Kino. Ein Klischee auch das, gewiß.
Jetzt hat sie also Ernst, nämlich zum ersten Mal Fernsehen gemacht. Und aller medialen Logik zufolge müßte die Rechnung nun eigentlich aufgehen: Die sensibel ausgeleuchteten Gesichter müßten leuchten, die rotweinschweren Gefühle Akkordeon spielen, die wohlkalkulierten Stimmungen ihren Platz im 16:9-Format finden.
Weiß Gott! Man möchte es zu gerne gut finden. Schon um damals recht behalten zu haben. Aber, ach. Wer hat der Trotta nur zu diesem Stoff geraten? Ein hanebüchenes Wintermärchen ist dieses „Winterkind“: Sieben entbehrungsreiche Jahre lang war die junge Russin Jelena (Susanna Simon) in Rußland im Lager. Unschuldig, natürlich. Frisch entlassen, sucht sie ihren Sohn Boris, der als Baby nach Deutschland verkauft wurde. Wie der Zufall und Autorin Nicole Houwer es wollen, findet sie den Kleinen ausgerechnet in den Armen des Vaters (August Zirner). Der hatte Namen und Frau gewechselt und es sich am Rande von Köln gemütlich gemacht. „Die Bindung an die leibliche Mutter ist heilig“, zischt die Russin und fordert ihren Sohn und seine Liebe zurück. Prompt reißt sich der verwirrte Kindsvater die Klamotten vom Leib und erliegt der russischen Seele.
Unvermeidlich steuert der Plot auf die Frage zu: Wer ist die wahre Mutter? Es kommt zu einem Doppelschluß, der selbst König Salomon hätte staunen lassen: Erst gibt die Adoptivmutter Elke (Lena Stolze) das Kind frei (weil der Knabe es so will), dann entscheidet sich Jelena beschämt, den Jungen nicht mitzunehmen (weil der Kleine nachts schlecht schläft und nach seiner Mama ruft).
Unermüdlich türmen sich die Gefühle übereinander, und Margarethe von Trotta läßt die Kamera um diesen Berg kreisen. Wortlos wird noch einmal aufgebläht, was längst gesagt ist. Penetrant überspielt ein weinerliches Akkordeon jede gedankliche Tiefe. Das Stück hat Stärken. Wenn es sich auf die Wirkung seiner starken Darstellerinnen verläßt. Aber viel traut sich die Trotta da nicht. Klaudia Brunst
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