: Standbild: Talkshow Morast
■ Menschen im Gespräch
(Menschen im Gespräch, mittwochs, 22.50 Uhr, RTL plus) Der Moderator hießt Müller Gerbes, sieht aus wie der Waschmittelpropagandist bei Hertie und hat doch Gäste in sein Studio bekommen, um gemeinsam über die Nöte dieser Welt nachzudenken.
Obwohl bei Frau Teissier, Astrologin, das Wort Denken nicht am rechten Platz scheint. Unermüdliche Schnatterin für die Sache der Sterne, welche eine humane Wissenschaft sei, kommt sie zu dem Schluß, daß irgendwie alles mit allem zusammenhängt, vor allem aber mit ihren Horoskopen: China, Gorbi, ich und das Weltall.
Daß unser Leben von den Sternen abhinge, konnte Hans A. Pestalozzi, Apokalyptiker der ersten Stunde und nicht nur vom Aussehen her der Jupp Derwall der Aussteiger, in die heroische Pose des ewigen Aufklärers rasen und „Selbstbestimmung, Selbstbestimmung“ rufen lassen, um dann ganz Galilei nach seinem „und sie dreht sich doch“ unerschütterlich im Sessel abgesunken weiterzubelfern. Ohne Wahn geht's heutzutage nicht - was für Frau Teissier die Sterne, ist für Herrn Pestalozzi der CIA, den er am letzten Wochenende in China am Werke vermutet (hat Bush Denk Xiaopeng bezahlt oder ist Li Ping ein Ledernacke? Antworten bitte an Hans A. Pestalozzi); außerdem bekannte er endlich, ein gefährlicher Mann zu sein - weshalb schreibt er dann Bücher?
Bei so viel Heckmeck wollte auch Ungarns Botschafter Horvath nicht zurückstehen, verließ zuerst die marxistische und dann die Analyse überhaupt, sprach Frau Teissier Wissenschaftlichkeit zu und dem Menschen, daß er verbrauchen wolle.
Im Verein mit Müller Gerbes, dem Grußdirektor aus dem Hause RTL unter silberner Haube, der immer schon im Voraus weiß, was seine Gäste antworten, waren sie ein verdammt gutes Quartett, das sich jenseits eines originellen Gedankens wohlig fühlte bei der Lösung aber auch aller anstehender Menschheitsfragen.
Wäre Vilem Flusser, Kommunikationstheoretiker, nicht gewesen, der Abend wäre tief morastig geblieben. Vortrefflich dessen Entgegnung Richtung Teissier, daß zwar der Schmetterling im Hongkong das Wetter in Köln beeinflusse, dies aber absolut uninteressant sei und Astrologie in ihrem Falle wohl bedeute, von Geographie nichts zu wissen (sie hatte Afghanistan mit Usbekistan durcheinandergebracht); sauber seine Belehrung in Sachen Marxismus an Horvath, daß Freiheit doch wohl die Einsicht in die Notwendigkeit sei; superb gar nach Pestalozzi hin, daß dieser zwar nicht notgedrungen, aber möglicherweise doch dumm sei. Der kam ihm mit den Gedanken nämlich nicht hinterher und verwies auf den einfachen Mann aus der Dritten Welt, der dies wohl auch nicht könne (was nicht ohne Pikanterie war - schließlich kommt Flusser aus Brasilien). Vilem Flusser rettete für dieses Mal mit einfachen Selbstverständlichkeiten eine Sendung, die sonst nur als Plattform eitler Selbstbespiegelung gedacht ist.
Heise
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen