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■ BerlinalienStadtverträgliche Baustellen?

Seit geraumer Zeit geistert ein neues Zauberwort durch die Köpfe der gestreßten Berliner Verkehrsteilnehmer: Es lautet „Baustellenlogistik“ und bedeutet, daß Menschen und Maschinen alles nur Erdenkliche tun, um die kommenden Bautransporte in der Innenstadt um das öffentliche Straßennetz herumzuleiten. Denn ein wilder, unkontrollierter Baustellenverkehr, so rechnete man aus, würde schon 1994 aus dem drohenden Verkehrsinfarkt einen endgültigen machen. Von der alltäglichen Baustellenlogistik konnte man sich kürzlich ein Bild machen: Als das riesige Fundament der „Friedrichtstadtpassagen“ mit Beton ausgegossen wurde, rollten 50 Mischer 13 Stunden lang kreuz und quer durch die Innenstadt, Kräne jaulten, Pumpen dröhnten, Flutlicht strahlte, eine Tribüne war aufgebaut: „Achtung Baustelle – Betreten erbeten!“

Nichts funktionierte baulogistikmäßig – statt dessen Dreck, Drahtschlingen, Umleitungen.

Bei den großen Bauträgern tüfteln deswegen Spezialisten nächtelang am Ab- und Weitertransport von Bodenaushub und Schutt herum. Ihre liebste Tätigkeit, so versichert man mir, besteht in der Steuerung großer Lkw-Kolonnen. Sie entwickeln ein System von kreuzungsfreien Baustraßen und Förderbändern, Anlegestellen für Schiffe und provisorische Bahnhöfe für Schienenfahrzeuge. Die Intensität des Baubetriebs und das Timing werden hochgerechnet, Dispositionen im Stundentakt an Fahrer und Betonmischer und Polier ausgegeben, Liefertermine sekundengenau festgelegt. Organisation ist alles!

Der Senat bezeichnet das als „Stadtverträgliche Baulogistik“. Ob er den Widersinn der Wörter nicht kennt? Weit gefehlt. Das Wort soll den Schrecken nehmen für das, was kommt. Die Baulogistik, so gut sie ist, aber wird die Berliner vor der Unverträglichkeit der Baustellen nicht bewahren können. In den nächsten zehn Jahren werden am Potsdamer Platz, am Checkpoint Charlie, im neuen Parlaments- und Regierungsviertel oder in der Leipziger- und Friedrichstraße zehn Millionen Tonnen Erdaushub, fünf Millionen Tonnen Beton und eine halbe Million Tonnen Stahl auf über 2.000 Lkws täglich rollen. Tempotempo, Stickoxyde und Dezibel heißt die Devise bis 2010. Nicht mehr und nicht weniger. Rolf Lautenschläger

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