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Stadtteil-Politik ohne Partei

■ „Wir im Viertel“ und „Initiative Pusdorf“ kandidieren zur Beiratswahl

„Kirchturmpolitik“ sagen die einen, von „demokratischen Grundstrukturen“ sprechen die anderen – und meinen Beiratspolitik. Obwohl die bislang kontrovers diskutiert wird, gewinnt sie immer mehr AnhängerInnen. Für die kommenden Beiratswahlen am 14. Mai will gleich in zwei Stadtteilen eine überparteiliche, strikt stadtteilbezogene Initiative antreten: Nach „Wir im Viertel“ soll es nun auch in Woltmershausen eine Alternative zu den etablierten Parteien geben.

6.000 Wahlzettel hat die „Initiative Pusdorf“ schon drucken lassen. Mit dem Motto „einmischen, mitmischen, aufmischen“ hofft sie auf 30 Prozent der Stimmen für den Beirat im Stadtteil. „Wenn wir nur 10 Prozent bekämen, wäre das für uns eine Niederlage“, sagt Meinhard Motzko, Kandidat auf der Pusdorf-Liste. Aber an Mißerfolg glaubt niemand, schon weil die „Wir im Viertel“-Initiative bei ihrer Wahl-Premiere mit 11 Prozent bewies, daß die lokalen Anliegen der BürgerInnen zählen. Außerdem gilt ein neues Auszählverfahren. „Danach hätte die SPD, die in Woltmershausen traditionell überdurchschnittlich hoch abschneidet, schon bei den letzten Wahlen ein Beiratsmitglied weniger gestellt“, hat Motzko errechnet.

Vor allem der SPD will die Pusdorf-Initiative Stimmen abjagen: „Die verteidigen immer alte Fehler und haben für Pusdorf noch nichts getan.“ Im Stadtteil mit Insellage sei der Verkehr ein Riesenproblem, ganz Woltmershausen würde zum Schleichweg, wenn die B75 staut – „aber ein LKW-Verbot wurde erst durch die Klage der Anwohner erreicht“. Auch für das dringend nötige Stadtteilzentrum kam noch von keiner Partei echte Unterstützung. An den Kosten für ein provisorisches Stadtteilzentrum beispielsweise, das als Zelt monatelang demonstrativ am Hafen aufgebaut war, zahlen die InitiativlerInnen heute noch. Das haben Jürgen Schlösser und Meinhard Motzko, die in den letzten Jahren bereits für FDP und Grüne als Parteilose im Beirat saßen, übelgenommen. Sie haben ihren Listen deshalb den Rücken gekehrt, beide Parteien können für den Stadtteil nun niemanden mehr für den Beirat nominieren. „Wir haben keine Leute in Woltmershausen“, heißt es aus den Parteibüros.

Da will die Ini ansetzen: „Druck machen von unten. Die Parteien müssen reagieren, wenn ihnen die Leute weglaufen.“ Das sei der eigentliche Hebel, denn den Beiräten fehlten Rechte, sagen die InitiativlerInnen – das auf Akteneinsicht und Klage beispielsweise. „Was nützt es uns, wenn wir in Wohnstraßen Blumenkübel aufstellen dürfen, während die Hauptverkehrsader in die senatorische Zuständigkeit fällt?“ Weil der Frust programmiert ist, wurde die Commerzbank-Betriebsrätin Anke Nietfeld zur Spitzenkandidatin erkoren: „Die war noch nie im Beirat, aber sie hat Lust drauf und ist unverbraucht.“ Außerdem werde es die Initiative Pusdorf immer geben: „Die ist unser Standbein. Der Beirat ist Spielbein.“

Viel ernster hatte es 1991 die „Wie im Viertel“-Initiative genommen. „Wir wollten verhindern, daß das Viertel kippt“, sagt Beirätin Ingrid de Boer. Für die bevorstehenden Wahlen hatte sie überlegt, ob sie wieder kandidieren will. „Wir brauchen den Beirat ja nicht als Sprungbrett in die Politik. Da prüfen wir natürlich neu, ob unsere Anliegen noch gelten – und das tun sie.“ Ihre Bilanz der letzten Jahre: „Wir müssen wachsam bleiben. Wir haben zwar erreicht, daß das Drogenproblem sich nicht mehr im Viertel konzentriert“ – aber mit Themen wie Sielwall, Umbau am Weserstadion und Verkehr sei man noch nicht durch.

Beobachter der Szene stellen derweil fest, daß der politische Alltag die Kanten der Gruppierung schon ein bißchen abgeschliffen hat. Nicht alle finden das schlecht: Das Risiko Nummer eins jeder Bürgerinitiative, das Wadenbeißertum, werde dadurch abgeschwächt. Gegen Risiko Nummer zwei ist sowieso kein Kraut gewachsen: hinter den sehr lokalen Forderungen stecken selten politischen Linien, die woanders Bestand hätten.

Erfolg in ihrem Anliegen Drogenpolitik wird „Wir im Viertel“ jedoch von allen bescheinigt: „Auch die Grünen sind dadurch in Sachen Drogenproblem aktiver geworden. Wir hatten die Augen vielleicht zu lange davor geschlossen“, sagt Ex-Ortsamtsleiter Hucky Heck. So gesehen begrüßt der Skeptiker, der selbst aus Frust über die mangelnde Macht der Beiräte sein Amt hingeworfen hatte, die neue Entwicklung: „grunddemokratisch“. ede

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