■ Gastkommentar: Stadtraum als Ware
Wenn über „Öffentlichkeit“ und deren Räume diskutiert wird, liegt der Verdacht nahe, daß „öffentliche Räume“ am Verschwinden sind. Dieses Verschwinden ist nicht nur Produkt des größten Stadtzerstörers der Gegenwart, der ungehemmten privaten Verfügung über den Verbrennungsmotor. Richard Sennetts fast legendäres Buch über „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens“ (1977) hat es auch mit einer modernen Tendenz zu Privatisierung und Innerlichkeit erklärt. Die Menschen wollen keine „Rollen“ mehr spielen auf der städtischen Bühne, sie wollen „ehrlich“ sein. Und das gelingt am besten zu Hause. Der Punkt aber ist, daß „öffentlicher Raum“ immer auch sozialer Raum ist. Erst soziale Akteure „veröffentlichen“ einen Raum, indem Terrains besetzt, Konflikte und Unterschiede thematisiert werden. Die Frage ist, ob dafür in einer Boom-Stadt wie Berlin überhaupt noch Räume vorhanden sind.
Das „Stadtforum“ mußte sich eingestehen: Trotz und wegen aller Aufrüstung der Medien ist die „öffentliche Sphäre“ im Schwinden – und in der Hierarchie der politischen Sprachregelung steht sie ganz unten. Ganz hoch im Kurs dagegen steht das Interesse eines Investors an Selbstdarstellung. Das hat Gründe: denn der „Raum“ – der private Miet-Raum wie der „öffentliche“ – ist eine „Ware“ und natürlich der Verwertungslogik unterworfen.
„Öffentliche Räume“ sind sozial bestimmt, und die Konzeption neuer Räume ist immer Gesellschaftspolitik. Wer über „öffentliche Räume“ und ihre Reparatur redet, muß die aktuellen Raumbesetzungen um so ernster nehmen. Dies betrifft die kommende Privatisierung von Bahngelände, die gerade erfolgte Privatisierung ehemaligen „Volkseigentums“ an der Karl-Marx-Allee und den Bau einer „Stadt in der Stadt“ am Potsdamer Platz. Da ist Raum Ware, nichts anderes. Soziale Akteure werden polarisiert, ausgespielt – und bestimmte auch ausgeschlossen. Die öffentliche „Verhübschung“ der Stadt wird demgegenüber vernachlässigbar sein.
Noch so viele gutgemeinte Computersimulationen verhindern nicht, daß die Rede über „öffentlichen Raum“ dann prekär ist, wenn riesige Stadtflächen den partikulären Interessen ausgeliefert werden. Die Stadt ändert sich, ohne daß es bemerkt wird, „öffentliche Räume“ werden weiter verschwinden unter dem Primat der Standort-Auto-Investoren-Logik. Im besten Fall werden sie schlechte Inszenierungen sein, im schlimmsten Fall sind sie in zehn Jahren Thema historischer Ausstellungen. Cornelius Helms
Der Autor ist Soziologe an der FU
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen