: Staccato von Dings und Bums
■ Design als Peep-Show: Das Focke-Museum präsentiert Philippe Starcks Auswahl internationaler Gebrauchskunst
Im Focke-Museum peepts. Schwarzgraue Kästen von beträchtlicher Länge durchmessen die Räume des sanierten Gebäudes. Als Bauten im Bau hat sie jemand dorthin geklotzt und ihnen hier und da und dort ungezählte Türen eingebaut. Wie Umzugskabinen einer futuristischen Kadettenanstalt lagern die Quader auf dem Steinboden, und auf den Türen aufgedruckte Namen wie Carlo Bartoli, Sony oder Feldmann und Schultchen verleiten zur ersten, dann doppelten und schließlich vielfachen Tat: Die Hand zur Türklinke zu führen, sie zu umgreifen, herunterzudrücken, nach vorne zu ziehen und – einen thrill zu erleben.
Hermetisch und neugierig machend zugleich kommt die nach „Die Kunst und das schöne Ding“in der Weserburg und der Mendini-Schau im Übersee-Museum dritte Ausstellung zur Veröffentlichung des internationalen Design-Jahrbuches bei den Damen und Herren Fockes daher. Philippe Starck, der zur Zeit vor allem mit Hotelumbauten beschäftigte französische Designer, hat sie unter der Mitwirkung eines gewissen Dieter Thiel konzipiert, weil er auch das Jahrbuch zusammengestellt hat und weil es seit knapp einem Jahrfünft so üblich ist, daß die Jahrbuchstars in Bremen zu Ausstellungsmachern aufsteigen – zumal nach langem Hin und Her auch anno 1997 wieder öffentliche Gelder in Höhe von mehr als 300.000 Deutschmark in das Projekt geschossen werden.
Als Hommage an den Focke-Museums-Architekten Heinrich Bartmann, nach dessen Entwürfen das Pavillon-Ensemble 1964 in der Horner Parkanlage errichtet wurde, will Museumschef Jörn Christiansen das Konzept für die gestern abend eröffnete Schau verstanden wissen. Ohnehin sei es ein unerhörter Glücksfall gewesen, daß dem Design, dem Starck und dem Thiel wegen der Sanierung ein leeres Museum zur Verfügung gestellt werden konnte. Wo gibt's schon sowas außer in der Stadt Bremen, die derzeit so viel in der Gegend herumbuddelt, daß das Museum nur auf Schleichpfaden erreichbar ist. Deshalb begegnen einem neuerdings allerorten kleine gelbe Männchen, die die Wege zum Museum weisen. Und dieses Amt verrichten sie nach Hoffnung Klaus Bert-holds, der das mitveranstaltende Design-Zentrum leitet und zu Blumigem neigt, ganz gewiß so wirkungsvoll, daß „Design das Focke-Museum wach küssen“wird. Viele Menschen sollen bei diesen Liebesdiensten behilflich sein – und dürfen dafür umsonst Tram oder Bus fahren, wenn sie (ungewöhnlich das) ihre Karten im Vorverkauf erstehen. 30.000 BesucherInnen, heißt es, sind Pflicht. Werden's bis Ende September mehr, wird vielleicht noch jemand wach geküßt.
Nun haben wir also endlich das Nötige getan und eine der Türen geöffnet. Ein Zeitungsstuhl von Niels Hvass ist hier der Lohn. Dort ist es ein grelles Rot mit Lampen von Sebastian Bergne. Und nebenan verbringen wir mit einem Multimedia-Computer von Gianni Orsini ein paar intime Sekunden. Philippe Starck, der zur Zeit auf einem wüsten Eiland Pläne für einen neuen – Hotelumbau schmiedet, läßt berichten, daß Frau und Herr Betrachter erstens neugierig werden und zweitens eigene Schlüsse über die Zusammenhänge von Design und Leben finden sollen. Wir gehen – hastiger werdend – von Tür zu Tür, öffnen Kabine um Kabine und erliegen einem Staccato von Dings und Bums.
War da nicht eben noch die Videoinstallation im Hinterzimmer? Waren da nicht fabelhafte Philippe-Starck-Sätze wie „Unsere Zivilisation muß ziviler werden“oder „All you need is love“oder „Fortschritt ist Romantik“oder „Sind wir nicht alle Hausfrauen“oder „Tout a une naissance, une vie, une mort“? Sie waren da. Doch hier ist nur wieder eine Tür, und der Stuhl dahinter ist bloß ein Stuhl, das spiralförmige Objekt hinter der nächsten immerhin eine Alternative für den Weihnachtsbaum und der giftgrüne Sessel hinter der übernächsten wenigstens ein kleiner Gag.
Ob's nun peept oder nicht, der überübernächste Türgriff bleibt ungedrückt. Wir schlendern über eine 53 Meter lange Brücke vorbei an rund 1.000 Exponaten aus dem Museumsfundus, staunen ein wenig, schmunzeln mehr und denken: 30.000 BesucherInnen? Die Wette gilt, the thrill is gone.
Christoph Köster
„Philippe Starck: Design mit Zukunft – Eine internationale Revue neuer Alltagskultur“bis 28. September im Focke-Museum. Design-Jahrbuch 54 Mark
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