: Staatsvertrag: SPD einstimmig unentschieden
■ Senat vollzieht 180-Grad-Wendung / Scherf: Alle verfassungsrechtlichen Mittel für Nachbesserungen einsetzen
Als Bremens Bürgerschaftsab geordnete sich gestern in die Mittagspause verabschiedeten, waren sich 99 von ihnen bereits sicher, wie sie nach dem Mittagessen abstimmen würden. Nur eine hatte sich noch nicht festgelegt: Noch über ihrem Salatteller grübelte die SPD -Landesvorsitzende Ilse Janz, ob ihre Haltung zum deutsch -deutschen Staatsvertrag besser durch Stimmenthaltung im oder durch die Erledigung eines menschlichen Bedürfnisses außerhalb des Plenarsaals dokumentieren solle. Als Bürgerschaftspräsident Klink eine Stunde später von jedem Abgeordneten einzeln wissen wollte, was er vom Bremer Senat in Sachen Staatsvertrag erwarte, hatte auch Janz die Alternative „Klo oder No“ entschieden. Wie alle übrigen SPD -Abgeordneten er
läuterte sie Klink so ihre Haltung: „Enthaltung“. Es blieb gestern der einzige Wortbtrag der SPD-Abgeordneten, die den Senat in ihrer Eigenschaft als SPD-Landesvorsitzende noch am Freitag in einer zwei Seiten langen Erklärung aufgefordert hatte, dem „wirtschaftspolitisch reaktionären“ Staatsvertrag auf keinen Fall zuzustimmen.
Gegenüber der taz erklärte Janz ihren scheinbaren Meinungswechsel vom Nein zum Jein hinterher so: Während sie sich als SPD-Vorsitzende durchaus erlaube, dem Senat ins Partei-Gewissen zu reden, wolle sie sich als Abgeordnete nicht in die Staatsvertrags-Entscheidung einmischen. „In dieser entscheidenden Frage muß das Parlament dem Senat freie Hand lassen.“ Und freie Hand, das hieß - jedenfalls bis
zur gestrigen Debatte - ihn nicht an der von Wedemeier gewünschten Zustimmung hindern.
Die Verwirrung - auch in den SPD-Reihen - war komplett, als Henning Scherf in Vertretung des urlaubsentschuldigten Klaus Wedemeier eine 180 Grad-Wendung des Senats vom Blatt ablas und ankündigte, Bremen werde im Bundesrat „alle verfassungsrechtlichen Mitspracherechte der Länder offensiv ausreizen“, um doch noch Nachbesserungen im Staatsvertrag durchzusetzen.
Was selbst die Mehrheit der SPD-Abgeordneten gestern noch nicht wußten: Die neue Senatslinie, die bislang nicht einmal die übrigen SPD-regierten Länder kennen, war erst am Dienstag festgelegt worden. In einer Senatssitzung, bei der es nach Augenzeugen nicht ohne „Brüllen, Heulen und aufgekündigte Freundschaften“ zugegangen war, hatte Justizsenator Volker Kröning seine Senats-Kollegen auf einen Haken im Zustimmungsgesetz zum Staatsvertrag aufmerksam gemacht, der denen bislang schlicht entgangen war: Wenn es nach Bundeskanzler Kohl und seinem Kanzleramtsminister Seiters geht, haben die Bundesländer sich zum letzten Mal in
deutsch-deutsche Einigung eingemischt. Nur noch zwei Länder will Kohl künftig im Regierungsausschuß „Deutsche Einheit“ mitreden lassen. Kröning, der die „Falle des Kanzlers, um die Länder auszubooten“ als erster begriff, setzte darauf die neue Bre
mer Senatslinie durch. Sie lautet: Entweder alle elf Bundesländer werden beteiligt oder wir lassen das Ding doch noch platzen.
Dank der Total-Enthaltung der SPD-Mehrheit gab die Bürgerschaft dem Senat gestern auch dazu „freie Hand“.
K.S.
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