piwik no script img

Staatsrat bleibt vorerst im Amt

■ Sozialsenatorin: Ein Staatsanwalt soll klären, warum ihr Ressort ärztliche Leistungen verweigerte

„Wir haben ihn zum Rücktritt aufgefordert“, sagte die grüne Sozialpolitikerin Karoline Linnert gestern nach der Sondersitzung der Deputation für Soziales. Acht Wochen nach dem Tod des Asylbewerbers Akan am 26.6. hatte sich der Bürgerschafts-Ausschuß gestern drei Stunden mit dem Fall befaßt, ohne daß die Behördenspitze Auskunft darüber geben konnte, warum dem kursischen Yeziden 16 Monate lang die Zustimmung zu einer möglicherweise lebensrettenden Operation verweigert wurde (vgl. taz 19./22.8.)

Der Staatsrat Hans-Christopf Hoppensack, so die Grünen-Politikerin, trage „offenkundig die politische Verantwortung“ für das Handeln seiner Behörde, das er selbst als „organisierte Unverantwortlichkeit“ bezeichnet habe. Zudem trage Hoppensack auch eine „persönliche Verantwortung“, da er „wie ein Sachbearbeiter an der Akte rumgefummelt“ habe und durch seine Fragen und Anmerkungen, die er persönlich machte, eine weitere Zeitverzögerungen eingetreten seien. Aufgrund der Nachfragen des Staatsrates, die der jetzt rückblickend bedauert, war die Akte damals vom zuständigen Sozialamt erst der senatorischen Behörde übersandt worden, wo sie einfach liegen blieb – das Sozialamt ging davon aus, daß der Staatsrat die Sache an sich gezogen hatte.

Warum sie dort herumgelegen hat, obwohl nach Auskunft des Staatsrates eindeutig das Sozialamt die Zuständigkeit für die Bewilligung der ärztlichen Kosten hatte, konnte auch gestern den Parlamentariern nicht erklärt werden. Warum die senatorische Behörde angeblich im April 1995 die Zustimmung zu der Übernahme der ärztlichen Kosten beschloß, obwohl sie dies nach den Akten schon im Dezember 1994 getan hatte (was offenbar niemand so recht wußte), warum diese zweite Zustimmung weder in einem Vermerk dokumentiert noch dem für die Bewilligung zuständigen Amt für soziale Dienste unmißverständlich mitgeteilt wurde, all das blieb auch acht Wochen nach Akans Tod ein Rätsel.

Anstatt die Vorgänge in der eigenen Behörde zu untersuchen und Konsequenzen zu ziehen, hat die Senatorin Tine Wischer der Deputation gestern einen allgemeinen Fragen-Katalog vorgelegt, den ein Staatsanwalt aus Hannover, H.D. Jeserich, als Gutachter beantworten soll. Da es der Behördenleitung nicht gelungen ist, den Sachverhalt im eigenen Hause aufzuklären, soll der erst einmal „das Zusammenwirken von allen beteiligten Personen und Institutionen lückenlos aufklären“ und dann „die Ursachen des Verlaufs analysieren“. Schließlich soll der Staatsanwalt „Vorschläge entwickeln“, wie die Behörde so organisiert werden kann, daß „kurze und klare Entscheidungsprozesse in vergleichbaren Fällen zu garantieren“ sind.

„Das ist alles nicht erforderlich“, sagte dazu die frühere Sprecherin der Sozialdeputation, Linnert: der Sachverhalt sei klar, offene Fragen könnten von den Abgeordneten geklärt werden, es gehe darum, des Vorgang zu bewerten. Mit wochenlanger akribischer Gutachter-Arbeit könne „die Verantwortlichkeit eher zugedeckt“ werden.

Eine Ferndiagnose stellte gestern der Direktor des Zentrums für Gesundheitsethik an der Evangelischen Akademie Loccum, Karl-Heinz Wehkamp. „Die Schuld am Tod des Kurden trifft nicht die Bremer Behörden“, sagt Wehkamp. Wegen des krassen Mangels an Spender-Lebern stelle sich „weniger die Frage, ob ein Leben gerettet werden können, sondern eher die, wer sterben müsse“. Letztlich habe die Sozialbehörde „unbewußt vor dem Problem gestanden, daß Fragen der Humanität nicht mehr zu lösen seien, ohne die Ausgaben dafür zu bedenken“. Auf deutsch: „Was für den Straßenbau ausgegeben wird, kann nicht mehr in der Medizin eingesetzt werden. In Deutschland, so Wehkamp, sei „eine Verständigung über Begrenzungen medizinischer Leistungen erforderlich“. K.W.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen