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Staatskommissar für Zahnärzte

■ Niedersachsen beendet Honorarstreit mit letztem Machtmittel

In Deutschland hat jetzt erstmals ein Staatskommissar Ärzten die Selbstverwaltung aus der Hand genommen. Unter scharfem Protest der bundesweiten Zahnarztorganisationen übernahm der Ministerialdirigent Ignaz Jung Lundberg gestern die Aufgaben der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KZVN). Er war von Sozialminister Walter Hiller berufen worden. Zum Auftakt führte er ein erstes Gespräch mit Vertretern der gesetzlichen Krankenkassen über neue Honorarverträge für die Zahnärzte.

Anlaß ist der ungelöste Honorarstreit zwischen Sozialministerium und KZVN. Jung Lundberg sagte nach dem Treffen mit den Kassenvertretern, er habe den Eindruck, daß ein neuer Honorarvertrag sehr schnell geschlossen werden könne. Er versicherte, er wolle alles dafür tun, daß die Selbstverwaltung bei den Zahnärzten in Niedersachsen wieder funktioniere und sein Amt überflüssig werde.

Gegen die Einsetzung von Jung Lundberg reichte die KZVN am Montag Klage beim Sozialgericht Hannover ein. Mit einer Entscheidung ist nach Angaben eines Sprechers in den nächsten Wochen nicht zu rechnen. Die Bundeszahnärztekammer (BZÄK), die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und der Freie Verband Deutscher Zahnärzte reagierten mit heftiger Kritik auf die Entmachtung der KZVN-Führung. Sie sprachen in einer in Bonn verbreiteten Erklärung von einer „Staatsmedizin“, wie sie „unabdingbar in totalitären Staaten“ praktiziert werde. „Die Staatsbürokratie setzt ihren Machtanspruch gegenüber einem freiheitlichen Versorgungssystem und einer demokratisch legitimierten Selbstverwaltung rücksichtslos durch.“

Zu den Unterzeichnern zählte auch Karl Horst Schirbort, der Vorsitzende der Kassenzahnärztlichen Vereinigung auf Bundesebene und in Niedersachsen. Er wurde am Montag von der Interessengemeinschaft Zahnärztlicher Verbände in Deutschland (IGZ) zum Rücktritt aufgefordert. Er und seine Vorstandskollegen hätten versagt und dienten nicht den Interessen der Vertragszahnärzte, hieß es in einer Erklärung der IGZ.

Jung Lundberg will an diesem Dienstag in der KZVN-Geschäftsstelle ein Büro beziehen. Er soll vor allem verhindern, daß die Zahnärzte wie angekündigt ab sofort Kassenpatienten nur noch gegen Rechnung behandeln. Zahnärzte, die die Versichertenkarten der gesetzlichen Krankenkassen nicht mehr annehmen, erhalten nach seinen Angaben vorerst keine Honorarzahlungen mehr. Jung Lundberg will am Donnerstag Verhandlungen mit den Kassen über neue Honorarverträge aufnehmen. Vorher will er mit dem Vorsitzenden der KZVN-Vertreterversammlung und den bisherigen Zahnarztvertretern bei den Honorarverhandlungen sprechen. dpa

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