Staatsbesuch aus Frankreich: Freundschaft in Zeiten des Krieges
Frankreichs Präsident Macron will der Ukraine erlauben, russische Stützpunkte anzugreifen – der Kanzler nicht. Beide wollen Milliarden EU-Investitionen.
Auf der Agenda des deutsch-französischen Ministerrats am Dienstagabend standen jede Menge Themen: der Krieg in der Ukraine, der Krieg im Nahen Osten, europäische Verteidigungsstrategien.
Es ist aber vor allem ein Großkonflikt, der Scholz und Macron umtreibt. Die russische Invasion in der Ukraine steckt im dritten Jahr, ein Ende ist nicht in Sicht. Frankreich und Deutschland haben Unterstützung für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zugesagt – und zwar so lange wie nötig.
Macron: Ukraine soll Stellung in Russland angreifen dürfen
Die Ukraine darf sich verteidigen, sagt Scholz bei der gemeinsamen Pressekonferenz. Macron wird noch deutlicher. „Wir müssen ihnen erlauben, militärische Stützpunkte zu neutralisieren, von denen aus Raketen abgeschossen werden“, sagt Macron. Und trifft damit einen Punkt, bei dem es nicht harmonisch zwischen Deutschland und Frankreich zugeht.
Selenskyj drängt – wie auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell – darauf, dass westliche Waffen auf russischem Territorium zum Einsatz kommen können. Scholz befürchtet eine Beteiligung Deutschlands am Krieg und bleibt verklausuliert, aber hartnäckig beim Nein. Für den Einsatz der in die Ukraine gelieferten Waffen gebe es Regelungen. Etwa, dass sich dieser „immer im Rahmen des Völkerrechts bewegen muss“, so Scholz. Dies habe bisher gut funktioniert.
Zugleich betont der deutsche Kanzler aber, dass man es solidarisch geschafft habe, die Ukraine überhaupt zu unterstützen, sei ein Zeichen der Stärke. Genau damit hätte Russlands Präsident Wladimir Putin nicht gerechnet und auf die Schwäche des Westens gesetzt.
Für einen Frieden in der Ukraine gehe man „Hand in Hand“, sagt Macron. Beide haben dasselbe Ziel, das soll klar werden. Gleichwohl auf unterschiedlichen Wegen. Damit Russland und die Ukraine am Verhandlungstisch sitzen können, muss aufgerüstet werden, darin besteht wiederum Einigkeit. Eine Eskalation wolle man aber nicht, sagt Macron.
Stärkung der EU-Verteidigung
Macron spricht von mehr Autonomie, was die Verteidigung auf europäischer Ebene angeht. Erneut pocht er darauf, dass europäische Rüstungsunternehmen gestärkt werden. Gemeinsame Strategien sollen vorangetrieben werden, aber Unterschiede nicht vergessen. Macron betont, dass Frankreich über Atomwaffen verfüge, Deutschland jedoch nicht. Auch die geografische Lage sei unterschiedlich.
Hintergrund dieser Bemerkungen ist unter anderem, dass Frankreich sich nicht wie Deutschland und rund 20 andere Staaten an der European Sky Shield Initiative beteiligt. Macron höchstpersönlich will Selenskyj bei einem Besuch in der Normandie am 6. Juni anlässlich des 80. Jahrestags des D-Days über die Möglichkeiten der Verteidigung unterrichten.
Ein weiteres Top-Thema des Treffens ist die europäische Wettbewerbsfähigkeit, die auf dem Spiel steht. Weniger Bürokratie fordert Scholz, mehr Hilfen für europäische Unternehmen. Macron setzt zudem auf mehr Digitalisierung und fordert ebenfalls ein Europa mit vereinfachten Regeln. Beide betonen die Wichtigkeit grüner Technologien und wollen Abhängigkeiten etwa von den USA oder China reduzieren. Scholz nennt keine Länder konkret, sondern formuliert nur den Weggang von Staaten „über den Teich“.
Mehr Geld für die EU
Mehr Verteidigung, mehr digitale Infrastruktur, mehr Widerstandsfähigkeit gegen Krisen und Konflikte, die Umsetzung des Green Deals: Das alles kostet Geld. Macron und Scholz stellen eine Verdopplung des EU-Budgets in den Raum. Man müsse die Blockade bei Investitionen überwinden, sagt der französische Staatschef – und spricht gar von Hunderten Milliarden Euro, die bereitgestellt werden müssten. Zum Ende des deutsch-französischen Ministerrats wurde eine gemeinsame Erklärung verabschiedet, wie Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit der EU gestärkt werden können. Konkret steht ein „Investitions-Schock“, wie Macron ihn nennt, in Höhe von rund 620 Milliarden Euro an öffentlichen Investitionen an.
Doch sowohl in Frankreich als auch in Deutschland setzen harte Haushaltsverhandlungen die beiden Regierungschefs unter Druck. Allein die Hilfen für die Ukraine kosten Milliarden – und das vermutlich noch viele Jahre. Auf G7-Ebene will man nun verstärkt Wege suchen, wie die Zinsen für eingefrorene russische Vermögen bereits jetzt für Wiederaufbau und Waffenhilfen für die Ukraine genutzt werden können.
Es gibt also viel zu besprechen – und die deutsch-französische Freundschaft wird durch die Kriege in der Ukraine, aber auch in Nahost auf einen neuen Prüfstand gestellt. Wenn Deutschland und Frankreich die nächste Etappe zu einer gestärkten EU gemeinsam schaffen wollen, wird das von beiden Ländern Kompromisse und Anstrengungen erfordern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin