Staatliche Hilfspakete wegen Corona: Die Anti-Schock-Strategie
Ein Blick auf das Konjunkturpaket verrät: Die Große Koalition ist besser als ihr Ruf. Das liegt an der SPD.
I m Jahr 2004 verwüstete ein Tsunami die Küste Sri Lankas. Der Schaden für die Fischer war ein doppelter: Die Fluten zerstörten ihre Dörfer, danach nutzten die Regierung und Investoren das Desaster, um dort, wo ihre Häuser gestanden hatten, Hotelkomplexe hochzuziehen. Katastrophen werden oft für eine neoliberale Tabula-rasa-Politik genutzt, bei der die Reichen und Mächtigen gewinnen und die Armen verlieren. Die amerikanische Globalisierungskritikerin Naomi Klein hat dieses Prinzip etwas reißerisch „Schock-Strategie“ getauft.
Der Lockdown hat durchaus tsunamihafte wirtschaftliche Schäden angerichtet. Das Konjunkturprogramm der Großen Koalition ist eher eine Art Anti-Schock-Strategie. Man kann und muss einiges bemängeln – etwa dass Hartz-IV-Empfänger noch nicht mal einen symbolischen Bonus erhalten. Oder dass die Chance, Kommunen beherzter aus dem Kreislauf von Armut und Überschuldung zu befreien, versäumt wurde. Oder dass Pflegeberufe nicht eigens bedacht wurden.
Aber all das trifft nicht den Kern. Das Konjunkturpaket ist, unabhängig davon, ob sich die SPD da mehr oder weniger durchgesetzt hat, ein rot-grünes Programm. Der Staat investiert antizyklisch, um die Krise abzupuffern. Bei der SPD gehört der Keynesianismus zur DNA, bei der Union sind sie Keynesianer aus Not. Die Union hat die Rolle des Bremsers gespielt – und auch das nur halbherzig. Sie wollte Steuern für Reiche senken, was für den Konsum nichts bringt.
Sie wollte das Programm auf 100 Milliarden Euro begrenzen, was die Schlagkraft des Pakets ohne Not gemindert hätte. Und sie wollte, jedenfalls zum Teil, eine Abwrackprämie für Benziner und Diesel. Doch wenn der BMW-Konzern, der 1,6 Milliarden Euro an Aktionäre zahlt und das Kurzarbeitergeld nutzt, auch noch eine Kaufprämie für Luxusautos bekommen hätte, wäre das purer Lobbyismus gewesen.
Nichts davon kommt, und das ist gut so. Stattdessen fließt viel Geld in ökologisch verträgliche Wirtschaft und Zukunftstechnologie. Es ist kein Zufall, dass die Kritik (Grüne: es hätte noch mehr Öko sein können, Linkspartei: es hätte noch sozialer sein können) eher routiniert klingt.
Die SPD hat die Union bei den Verhandlungen keineswegs trickreich über den Tisch gezogen, das Ergebnis ist schlicht ein Kompromiss. Doch es gibt eine Asymmetrie: Die SPD will ein Konzept durchsetzen, die Union moderieren. Der Geist dieses Pakets ist sozialdemokratisch. Wenn die Union harte Überzeugungen leidenschaftlich verteidigen würde, müsste sie depressiv werden. Das wird nicht passieren, denn die Union ist keine Programmpartei und hat keine Neigung zum Depressioven. Bei der SPD ist beides anders.
Mit Jamaika wäre es wohl nicht gegangen
Es gab in der Berliner Politik in den letzten Jahren zwei Schlüsselmomente, die in der Krise in anderem Licht erscheinen. Christian Lindner jagte Jamaika in die Luft, die SPD fühlte sich, staatstragend wie sie ist, zu noch einer Großen Koalition genötigt. Damals schien das fatal – und Jamaika das frischere, interessantere Projekt zu sein.
Doch nichts wäre derzeit schädlicher als Christian Lindners nervöser Neoliberalismus oder der Versuch, die Krise mit Schockstrategien zu bearbeiten. Merkel und die Union haben flexibel ihren Schwur gebrochen, dass die EU keine Schulden machen darf, weil sie begriffen haben, dass eine EU mit Schulden besser ist als gar keine EU. Ob einem FDP-Finanzminister dieses Licht aufgegangen wäre, ist zweifelhaft.
Das zweite Ereignis war der Putsch in der SPD gegen Andrea Nahles. Der hatte den Effekt, dass die Fraktions- und Parteispitze der SPD erkennbar nach links gerückt sind. Und das ist, entgegen allen düsteren Prophezeiungen, kein Nachteil.
Die Große Koalition, die im Normalmodus träge wirkt, macht sich in der Krise gut. Die SPD steuert die Ideen bei, die Union steht bei deren Umsetzung erfreulich wenig im Weg. Dass dies der SPD partout nicht zu mehr Zuspruch bei den Wählern verhilft, wirkt fast tragisch.
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